Der Katalane präsentierte bei der Viennale, die am 29. 10. endet, „Tardes de Soledad“. Nun folgt ein Film über Russland und die USA
Wozu geht man ins Kino? Vorrangig, um Bilder zu sehen. Bilder, die so aufregend, überwältigend oder neu sind, dass sie einem nicht mehr aus dem Kopf gehen. Die nachwirken, weil sie größer und erhellender sind als jede Realität. Wie etwa jenes von Benoît Magimel auf seinem Jetski im Pazifik vor Tahiti, als plötzlich von hinten eine monströse Welle auf ihn zurollt. Sie verschluckt ihn nicht, er steht sie durch – das Meer wollte nur seine Macht und Schönheit demonstrieren.
Das Bild stammt aus Albert Serras fiebriger Südseeparabel „Pacifiction“. Alles ist in erotische Rottöne und in ein dunkles Meerblau getaucht – große Halluzinationen für die große Leinwand.
Nun begibt sich Serra, der kompromisslose katalanische Film-Avantgardist, mit seiner Kamera in die Stierkampfarena. In seiner Dokumentation „Tardes de Soledad“ begleitet er den peruanischen Star-Matador Andrés Roca Rey bei seinen Auftritten in spanischen Arenen. Zeigt ihn beim Ankleiden und Sich-Sammeln vor dem Stierkampf, konzentriert im Auto.
Blut und Schweiß
Nie, so hat man das Gefühl, war man so nahe dran, noch nie hat man den Schweiß des Toreros und das Blut des Stiers so gerochen wie hier. Serra liefert seine verlässlich guten Bilder und durchbrach dafür sogar eines seiner eisernen Prinzipien: „Ich sehe mir nie, wirklich niemals Aufnahmen meiner Filme an, bevor ich sie abgedreht habe. Außer bei diesem. Hier betraten wir Neuland, wir mussten erst lernen, wie wir die Kamera platzieren. Bei jedem Kampf machten wir bessere Bilder und fanden immer bessere Frames. Wir blendeten das Publikum in der Arena aus und konzentrierten und nur auf Andrés und das Tier. Ich wollte dieses strenge, grausame Ritual des Tötens, das nicht mehr in unsere moderne westliche Wertewelt passt, sichtbar machen. Ganz nah ran gehen. Nicht nur physisch mit Close-ups, auch spirituell.“
EPA/JAVIER ETXEZARRETA
„Besessen von Bildern“: Film-Avantgardist Albert Serra
Stierkämpfe seien für ihn Tradition und Kindheitserinnerung. Nichts, was ihm gefällt, aber auch nichts, was er verbieten würde: „Schon als kleiner Bub bin ich mit meinem Vater in Barcelona zu Kämpfen gegangen.“ Mittlerweile seien in Katalonien alle Arenen geschlossen. „Bei den Jungen ist Stierkampf unten durch. Er wird in Spanien mit rechter Politik assoziiert.“
Stierkämpfe seien aber eine große Industrie: „Viele Menschen leben davon, und es bringt viel Geld.“ Die emotionslose Sicht Serras ist auch in „Tardes de Soledad“ spürbar. Andrés Roca Rey und er haben sich nicht viel zu sagen. Sie machen einfach das, was sie am besten können und dulden sich gegenseitig. Wie es eben so ist, wenn zwei Männer mit Riesen-Egos aufeinandertreffen, sich von niemandem etwas sagen lassen. „Er hat mich ignoriert“, sagt Serra tonlos, wenn man ihn auf Rey Roca anspricht. Der Star-Torero gefiel sich am Ende angeblich nicht im Film. Alphatiere auf Kollisionskurs.
Serra ist ein Besessener, er sei „besessen von Bildern“: „Die Hauptarbeit ist das Editing – der Schnitt und die Bearbeitung. Bei ,Pacifiction‘ arbeiteten drei Cutter neun Monate ohne Pause in einem Haus in Marseille, wo uns die Produktionsfirma untergebracht hatte. Neun Monate ohne freie …read more
Source:: Kurier.at – Kultur