
„Heftige Debatten“ hatte Juryvorsitzender Klaus Kastberger bei der Eröffnung des Wettlesens um den Bachmannpreis vorausgesagt. und sich diese wohl auch gewünscht.
Der erste Lesetag begann indes noch mau. Die muntere Jury – selbe Besetzung wie im Vorjahr, die mit streitlustigen Mitgliedern wie dem Schweizer Schriftsteller Philipp Tingler oder Kastberger selbst viel Abwechslung versprach – kam nur langsam in die Gänge.
Als Erste las die Kölner Autorin Fatima Khan auf Einladung von Jurorin Mithu Sanyal. „Madonna in den Trümmern“, ein Brief an ihren Vater, einen islamischen Prediger, erzählt vom Ankommen beziehungsweise Nichtankommen in Deutschland. Dem Land, wo sie „immer auffallen“ würde und wo man die Gabel mit der linken Hand, der für den Islam „unreinen“, verwende. Das müsse der Vater als Adressat des Briefes allerdings wissen, so einer der Einwände der Jury dazu. Klaus Kastberger erinnerten die Kölnbeschreibungen darin an „Reiseführer-Prosa“.
Die Hamburgerin Nefeli Kavouras las auf Einladung von Laura de Weck den Text „ZENTAUR“, der vom Sterben eines Vaters und Ehemannes erzählt. Philipp Tingler konstatierte eine „seltsame Mischung“ aus eindringlichen und banalen Passagen, Kastberger lobte.
Langsam in Fahrt kam die Jury bei Max Höfler, der auf Einladung von Klaus Kastberger den Text „LAMBADA TUTTO GAS“ las. Chat GPT verfasste dazu mit dem Auftrag „Schreibe eine kurze und sehr hitzig geführte Youtube-Kommentardebatte“ Dialoge, die eine Kritik am Text vorwegnehmen könnten. Worum ging’s? Schwer zu sagen. Himmel und Hölle, Sprünge in der Müslischüssel und Lieferketten. Ein universalistischer Text. Höfler, der im spektakulären Outfit samt bauchfreiem Wollpullover und schimmernden grünen Boxershorts gelesen hatte, erntete viel Applaus im Publikum, die Jury war uneins.
Mara Delius hätte sich noch „mehr Sprünge in der Schüssel“ gewünscht, noch mehr Aufregung. Auch die Begeisterung der Schweizer Thomas Strässle und Philipp Tingler war enden wollend. Zweiterer fand, dies sei ein „typischer Kastberger-Text“. Woraufhin der Angesprochene zu einer grundsätzlichen Erklärung über Österreich und seine Literatur ansetzte: „In Österreich beginnt alles mit der Hölle. In Österreich hat immer jemand einen Sprung in der Schüssel.“ Bald flogen die Hackln tief. Österreich gegen Schweiz, ein schönes, bereits im Vorjahr erprobtes Jury-Match.
Nähe? „Es graust mir!“
Herrliche Aufregung bot auch die Auseinandersetzung zwischen Mithu Sanyal und Philipp Tingler darüber, ob man Distanz oder Nähe brauche, um über einen Text zu sprechen.
Tingler: „Es graust mir, wenn hier postuliert wird, wir brauchen Nähe!“
Nach dem Steirer las die deutsche Autorin Laura Laabs auf Einladung von Laura de Weck den Text „ADLERGESTELL“, der in Ostberlin nach der Wende spielt. Kritik etwa von Juror Thomas Strässle erntete das darin enthaltene Narrativ, dass jemand, der in der DDR aufgewachsen sei, am Ende bei der AfD lande. „Ich habe selten so einen Text gelesen, der sich am Ende so selbst in die Knie schießt.“
Die Österreicherin Verena Stauffer, eingeladen Klaus Kastberger, beschloss den Tag mit dem Text „Die Jäger von Chitwan“. Worum es darin ging? Die Jury tat sich schwer. Verrätselte Prosa, Dystopie, Nature Writing, mutmaßte Mara Delius. Mithu Sanyal fand die politischen Komponenten des Textes „unterkomplex“. Tingler erkannte den „künstlerischen Gestaltungswillen“ an, für ihn war der Text aber „too much“. Vom Juryvorsitzenden forderte er eine Erklärung. „Worum geht’s …read more
Source:: Kurier.at – Kultur