„Das Schlimmste, was ich je gelesen habe!“

Kultur

Wer Goethe, Handke oder Dürrenmatt schon in der Schule hasste, der kann sich mit 1-Stern-Bewertungen rächen

Auch mit Bestsellern sollte man vorsichtig sein. Bloß, weil’s viele gekauft haben, heißt das noch lang nicht, dass es gut ist. Albert Camus’ „Der Fremde“ etwa. Langweilig bis zum Ende, findet ein enttäuschter Leser und fügt hinzu: Kompletter Müll. Danke.

Kaum besser kommt ein anderer Klassiker des Nobelpreisträgers weg, „Die Pest“: Das Schlimmste, was ich je gelesen habe!, schreibt ein erzürnter Käufer und fasst den Inhalt kurz und bündig zusammen: Noch ’ne tote Ratte. FURCHTBAR.

Wie wär es mit James Joyce’ „Ulysses“? Auch eine Geschmacksfrage. Ein Rezensent beschreibt den 1.140 Seiten-Roman recht knackig: Schweinskram. Probieren wir es also mit einem älteren, vielleicht etwas konventionellerem Roman, Gustave Flauberts „Madame Bovary“: Frauenfeindlicher Käse. Die Begeisterung ist enden wollend.

Nachzulesen sind diese recht subjektiven Bewertungen von Klassikern der Weltliteratur auf Portalen wie Amazon, oder, praktischer, in dem Buch „100 Seiten sind genug“, für das der Salzburger Verlag Jung und Jung Rezensionen von enttäuschten Käufern zusammengetragen hat. Ihnen allen wohnt der Grundgedanke inne, Thomas Mann, Peter Handke oder Virginia Woolf seien schlicht und einfach überbewertet und wer Weltliteratur schon in der Schule gehasst hat, der kann sich hier endlich rächen. Dostojewski? Doderer? Kafka? Ein Stern genügt.

Der Kunde, so lautet das Gesetz der öffentlichen Kundenbewertungen, hat immer recht. Was zählt, ist Meinung, und eine solche hat schließlich heutzutage jeder. Endlich, endlich darf man das, was man dem Deutschlehrer nicht sagen durfte, in die Welt hinausbrüllen: DAS IST LANGWEILIG!!! (Versalien und überbordender Einsatz von Satzzeichen sind ein häufiges Stilmittel und von Kundenbewertungen im Internet.) Somit ist dieses sonderbare Kompendium, so lustig es auch zu lesen ist, auch ein Befund unserer Zeit.

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Der Wiener Schriftsteller Elias Hirschl hat den Kundenrezensionen einen Text namens „Was sie wollen“ vorangestellt, der ebenso auf 1-Stern-Amazon-Bewertungen beruht. Mehr und zugleich weniger Gewalt, mehr und zugleich weniger Sex stehen auf der Wunschliste und auch, dass Homers Odyssee nicht in Reimen erzählt werde. Außerdem sollen Historiker nicht überall ihren Senf dazugeben. Und Kafka soll nicht immer so negativ sein.

Wen das alles etwas ratlos zurücklässt, der könnte sich am unbefangenen Urteil des Kritikers von Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ ein Beispiel nehmen. Ist halt ein Buch. Ich hasse Bücher. Doch nicht jeder Amazon-Rezensent sieht die Literatur so negativ. Mancher hat sogar einen Anflug von Sympathie für sein Objekt. Der Einschätzung man kann Theodor Fontane ein stilistisches oder literarisches Können nicht absprechen folgt allerdings ein ausführliches Aber, weshalb dem Leser von „Effi Briest“, summa summarum, herzliches Mitleid auszusprechen ist. Ich hoffe, ich konnte helfen. 

Cover

„100 Seiten sind genug“
Mit einem Text von Elias  Hirschl. 
Jung und Jung.
94  Seiten.
12,50 Euro

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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