Die Flucht – über die Kälte des Schnees und die Kälte des Meeres

Kultur

In Erinnerung an die „Mühlviertler Hasenjagd“ vor 80 Jahren las Maria Hofstätter im Kabinetttheater drei Fluchtgeschichten

Julia Reichert, die Gründerin des Kabinetttheaters, starb im November 2024, der Bühnenbetrieb lebt in ihrem Sinne weiter. Dies demonstrierte am Montag die Lesung „Wohin?“ von Maria Hofstätter, die von Melissa Coleman am Cello begleitet wurde. Das Kabinetttheater – im gewohnten Wohnzimmerambiente – verwandelte sich für die Veranstaltung rund um die „Mühlviertler Hasenjagd“, die sich in der Nacht vom 1. auf 2. Februar zum 80. Mal gejährt hat, in einen dunklen Bühnenraum. 

Literatur und Musik wurden an diesem ergreifenden Abend miteinander kombiniert. Die renommierte Schauspielern las drei kraftvolle Texte, die von der Verzweiflung und der Hoffnung der Flüchtenden berichten – sowie über den Zufall, der über Leben oder Tod entscheidet. Die Kompositionen von Coleman am Cello erfüllten den Raum mit einer bittersüßen Melancholie.

Von: Mari-Sarah Drugowitsch

Den Abend verbinden Analogien, die Kälte des Schnees, über den Igor im Februar 1945, die Nazis im Rücken, läuft, und die Kälte des Meeres, das „große Blau“, über das Louafi flüchtet. 

Der erste Text, aus „Die Hatz“ von Thomas Karny, erzählt die dramatische Flucht des sowjetischen Kriegsgefangenen Igor aus dem Block 20, dem Todesblock des KZ Mauthausen. In der Nacht seines Ausbruchs wagen über 500 Menschen die Flucht, einige sterben auf den ersten 100 Metern, nur wenige, Igor gehört dazu, überleben. Auf der einen Seite mobilisieren die Nazis die Zivilbevölkerung, auf der anderen gibt es die, die sich der Hetzjagd entziehen, um den Flüchtigen zu helfen.

Willkür und Weiterleben

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Mit Wislawa Szymborskas Gedicht „Alle Fälle“ (aus „Deshalb leben wir“, 1952) wird der Übergang von Igor zu Louafi, vom Damals zum Heute, vollzogen. Es thematisiert die Überzeitlichkeit der Flucht, des Überlebensdrangs und der Willkür, die über das Weiterleben entscheidet.

In der Gegenwart angelangt, geht es um Louafi, der mit zwölf weiteren Personen die Flucht von Marokko über das Mittelmeer nach Europa antritt. Das Boot kentert, die Leichen werden an einen Strand der marokkanischen Küste gespült. In „Gestrandet“ von Youssouf Amine Elalamy hören wir die Stimmen derjenigen, die fliehen mussten, und deren Angehörigen. Die Erlebnisse öffnen die Augen für die tragischen und viel zu oft vergessenen Schicksale.

Die Parallelen zwischen den verschiedenen Fluchtgeschichten zeigen, dass der Drang zu überleben, die Angst, das Hoffen auf Sicherheit und der Zufall, der über Leben und Tod entscheidet, über alle Zeiten hinweg dieselben geblieben sind. Die Lesung ist eine Einladung, in die Geschichte einzutauchen und mitfühlend auf das Schicksal der Flüchtenden zu blicken.

Noch heute, Dienstag, um 19 Uhr im Kabinetttheater. 

Im März (Premiere am 16.03.) geht es mit dem Minidramen-Abend „Wahn & Sinn“ weiter, in der sich vorwiegend zeitgenössische Autorinnen und Autoren, darunter Sonali Beher, Dietmar Füssel, Natascha Gangl, Ingrid Lang und Markus Köhle, mit der Wahrnehmung unserer fünf Sinne auseinandersetzen.

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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