Filmkritik zu Oscarfilm „Für immer hier – I’m still here“: Der kalte Atem der Militärdiktatur

Kultur

Walter Salles’ exzellentes Porträt einer Familie während der brasilianischen Diktatur erhielt den Oscar für den besten internationalen Film

Golden leuchtet der Nachmittag am Strand von Rio de Janeiro, warm glitzert die Sonne auf dem Wasser. Sanft umspielen die Wellen den Körper einer schwimmenden Frau, die sie sich unter dem freundlich blauen Himmel treiben lässt. Doch plötzlich taucht wie ein bösartiges Insekt ein Militärhubschrauber am Horizont auf. Sein Geknatter wird immer lauter und bohrt sich drohend in das Trommelfell der Strandbesucher. Der Propeller liefert den Sound zur Militärdiktatur Brasiliens, deren Schatten auch im Hippie-Jahr 1970 düster über dem Land liegen.

Die Schwimmerin ist Eunice Pavia, verheiratet mit Rubens Paiva, und Mutter von fünf Kindern. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie in einem großen, luftigen Haus direkt am Strand.

Die Türen stehen immer offen: Freunde und Intellektuelle gehen dort aus und ein, tanzen zu brasilianerischer Musik, die sich auf dem Plattenteller dreht, essen, lachen und diskutieren. Die Kinder toben im Hintergrund.

Der brasilianische Regisseur Walter Salles („Central Station“) war in seiner Jugend mit den Paiva-Kindern befreundet. Seine lebhafte Erinnerung an eine Familie, die ihr aufgeschlossenes Gesellschaftsleben als Widerstand gegen die Militärdiktatur verstand, verflüssigt sich in weichen, teilweise auf 36 mm gedrehten Bildern, wie man sie aus alten Familienfilmen kennt.

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Allein mit den Kindern, nachdem der Vater verschleppt wurde: Fernanda Torres in „Für immer hier“

Die Eltern rauchend und elegant, die kleineren Kinder mit Stirnfransen, die größeren im Hippie-Outfit: Der freudvolle Aufbruch der frühen 70er-Jahre unterfüttert das pulsierende Leben einer glücklichen Familie und markiert einen fast schon utopischen anmutenden Moment in der Geschichte Brasiliens.

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Geheimpolizei

Unter dem kalten Atem der Militärdiktatur verliert das Licht von Salles’ Erinnerungsbildern seine warme Farbe und beginnt sich zu verdunkeln. Ein paar sinistre Typen von der Geheimpolizei klopfen an die Türe und eskortieren Rubens Paiva zu seinem Auto. „Heute Abend bin ich wieder zurück“, winkt er zum Abschied seiner Frau – und verschwindet für immer. Obwohl selbst als Kind Zeuge der Ereignisse, erzählt Walter Salles die wahren Geschehnisse rund um die Verschleppung und Ermordung von Rubens Paiva gänzlich aus der Perspektive seiner Frau, Eunice Paiva.

Tolle Fernanda Torres

Eunice Pavia wiederum wird von einer fantastischen Schauspielerin dargestellt: Fernanda Torres stellt dem nationalen Trauma der unter dem Militärregime „Verschwundenen“ ihre wunderbare Schauspielkraft zur Verfügung. Sie durchleidet das Schicksal einer Frau, deren familiäres und gesellschaftliches Leben brutal vernichtet wird, und bleibt auch in ihrem größten Kummer souverän bis in die Fingerspitzen. Den eigenen Kindern verheimlicht sie den Tod des Vaters so lange wie möglich, während sie selbst unermüdlich daran arbeitet, sein grausames Schicksal zu dokumentieren und öffentlich zu machen, kurz: Sie verbringt ihr Leben damit, die politischen Gräueltaten zu erinnern und dem kollektiven Schweigen zu entreißen.

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Wurde für einen Oscar nominiert: Fernanda Torres in „Für immer hier“

Walter Salles erzählt dieses traumatische Kapitel brasilianischer Diktaturgeschichte zwar recht konventionell, aber mit vorbildhafter Genauigkeit, sowohl was die Rekonstruktion von Zeitkolorit, als auch historische Recherche anbelangt. Mit Fernanda Torres als Herzstück seines aufwühlenden Familienporträts, stellt er größtmögliche Nähe zu Ereignissen her, die gefährlich nahe an die Gegenwart heranreichen.

INFO: BRA/F 2024. 137 Min. Von Walter …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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