In „Shared Landscapes“ sagt die Erde: „Ich brauche Euch nicht“

Kultur

Stefan Kaegi realisierte mit Kollegen sieben Stücke über den Umgang mit der Natur. Im Mai 2024 zu sehen bei der Tangente St. Pölten

Der mächtige rote Balken aus Licht in der Landschaft vermittelt ohne Worte: Hier ist eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Und dann wird es allmählich nicht nur dunkel, sondern düster. Die Natur liest den Menschen die Leviten: „Die Ausrottung Eurer Spezies wird eine Erlösung. Ich brauche Euch nicht.“

Der Tag begann mit Sonnenschein. Man fuhr zu Mittag von Berlin in Richtung Osten und stieg in Hangelsberg, einem an sich völlig unbedeutenden Ort (mit einem der ältesten erhaltenen Bahnhöfe Deutschlands), aus. Im Pulk, wie bei einem Wandertag, trottete man auf einer Forststraße in einen Wald hinein. Denn die Berliner Festspiele zeigten als dritte Station in Europa „Shared Landscapes“, einen gut siebenstündigen Szenenreigen zum Umgang der Menschen mit der Natur.

 

Camille Blake

Konzipiert von Caroline Barneaud und Stefan Kaegi, einem Mitbegründer des Kollektivs Rimini Protokoll, hatte er im Mai bei Lausanne seine Uraufführung erlebt, danach, im Juli, folgte eine Aufführungsserie in Avignon. Und nächstes Jahr geht die „Tournee“ weiter: Im Juni wird „Shared Landscapes“ in Mailand, danach auf der Halbinsel Setúbal nahe Lissabon und im August bei Ljubljana realisiert. Davor, im Mai, entsteht eine eigene Version für die Tangente St. Pölten, dem Ersatzfestival für die Kulturhauptstadt Europas – der Titel ging ja an Bad Ischl und das Salzkammergut.

Krachend fällt ein Baum

Das Absurde, Verstörende an diesem Wandertag ist: Man nähert sich der Natur – mit High Technology. Denn man bekommt einen Funk-Kopfhörer, später erlebt man eine Himmelfahrt mit einer VR-Brille. Und gegen Ende hin hört man aus Lautsprechern krächzende, bedrohliche Geräusche zu den anklagenden Texten der Mutter Natur, die man eine halbe Stunde lang gebannt mitlesen muss.

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Das erste der „Sieben Stücke zwischen Wald und Wiese“ ist eine fast prototypische Arbeit von Stefan Kaegi: Man darf es sich bequem machen und einem Hörspiel lauschen. In diesem unternimmt eine Gruppe aus Psychoanalytikerin, Meteorologin und neugierigem Kind mit dem Förster eine Expedition in den Wald. Immer wieder vernimmt man Flugzeuglärm, Insekten sonder Zahl schwirren umher, die „Experten des Alltags“ reden über das Unbewusste, die Monokultur zu DDR-Zeiten, den Klimawandel und so weiter. Nach 35 Minuten fällt krachend ein Baum.

 

APA/VOLKSTHEATER/STEFAN KAEGI

Konzipierte „Shared Landscapes“: Stefan Kaegi, Mitbegründer von Rimini Protokoll

Kaegi erstellt für jeden Ort ein neues Hörstück – mit dort lebenden Menschen. Die Konstellation bleibt die gleiche, die Inhalte aber variieren. In Südfrankreich zum Beispiel waren die Waldbrände ein Thema. Und das finale Fallen des Baumes klang, weil es dort keine Prachtexemplare wie in Deutschland gibt, lange nicht so imposant.

Die „Außenposition“ nahm in Berlin eine brasilianische Sängerin ein, die sich vor dem Dschungel samt Schlangen fürchtet. In Avignon berichtete eine ukrainische Sängerin vom Wald ihrer Kindheit, der jetzt vermint ist. In Lissabon werde wahrscheinlich, sagt Kaegi, eine angolanische Sängerin zu Wort kommen, in St. Pölten jemand aus dem Iran.

 

Thomas Trenkler

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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