Johann-Strauss-Jahr: Max Richters Wiegenlied für eine hektische Welt

Kultur

Reportage über eine Nacht mit 200 Fremden im Malersaal der Bundestheater: das achtstündige Schlafkonzert „Sleep“

Von: Marie-Sarah Drugowitsch

Pyjama, Zahnbürste und Socken sind eingepackt, keine Dinge, die man zu einem konventionellen Konzert mitbringen würde. Der Malersaal der Bundestheater im Arsenal hat sich in einen Schlafsaal verwandelt. Weiß bezogene Feldbetten stehen in Reih und Glied, der Raum ist in ein sanftes, rotes Licht getaucht, Leintücher verhängen die Wände, durch die großen Fenster wird in einigen Stunden das erste Morgenlicht fallen.

Ein Konzertsaal sieht anders aus, aber das hier ist auch kein Konzert im herkömmlichen Sinn. Zum ersten Mal findet in Österreich, wie zuvor schon in Berlin, Paris und New York, das Schlafkonzert „Sleep“ des britischen Komponisten und Pianisten Max Richter statt. Rund 200 Menschen verbringen gemeinsam die Nacht mit seiner Musik. Niemand weiß so recht, wie man sich dabei verhält. Will man schlafen, bleibt man wach? Regeln gibt es keine. Eine intime, gleichzeitig kollektive Erfahrung.

Die achtstündige Komposition versteht sich als „Wiegenlied für eine hektische Welt“. Richter entwickelte sie 2013 mit Neurowissenschaftlern, um den Hörer durch alle Schlafphasen zu begleiten. Mit minimalistischen Klaviermelodien, ewig gehaltenen Streichertönen und sanften Gesangspassagen soll sie in einen meditativen Zustand versetzen. Ein musikalischer Gegenpol zur Informationsflut der digitalen Welt.

Ein Nacht mit Fremden

Kurz vor Beginn wird man gebeten, sein Bett aufzusuchen, man macht es sich gemütlich. Um 23.30 Uhr betritt Max Richter die Bühne, von sechs Musikerinnen mit Streichinstrumenten und einer Solistin begleitet. „Wir spielen jetzt für euch. Wir sehen uns auf der anderen Seite“, sagt er mit einem Lächeln. Die ersten Klaviertöne erklingen sanft.

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Das Licht wechselt von Rot zu Blau, dann zu Violett. Im Raum wird es still. Manche Menschen legen sich sofort hin, ziehen sich die Decke über den Kopf, andere schlendern, mit zur Verfügung gestellten Hotelpantoffeln, zwischen den Betten umher, eine Frau liest ungestört in ihrem Buch. Ein Pärchen aus Schweden ist extra angereist: „Ich will diese Erfahrung machen, Musik und Entspannung. Wo sonst kann man mit Fremden in einem Raum schlafen?“

Vertraute Motive

Es sind viele junge Leute da, man hört erstaunlich wenig Deutsch. Die Stunden verstreichen. Die Musik ist ruhig, meditativ, monoton und doch voller Variationen. Immer wieder tauchen vertraute Motive auf, die sich sanft verändern. Die Grenze zwischen Wachen und Schlafen verschwimmt, man wird in einen fast tranceartigen Zustand versetzt. Einige sitzen zwischendurch am Boden, andere ziehen sich an den Rand des Raumes zurück. Man hört die Menschen in seiner unmittelbaren Nähe im Rhythmus der Musik atmen, manchmal leise schnarchen.

Plötzlich ist es sechs Uhr. Ein tiefer Bass weckt mich aus dem Dämmerzustand, irgendwann, zwei Stunden nach Beginn, bin ich wohl weggedriftet. Um mich herum recken sich Menschen, reiben sich die Augen. Viele sind bereits wach.

Max Richter betritt die Bühne, eine Kaffeetasse in der Hand. Nach einer kurzen Pause setzt er sich ans Klavier und beginnt zu spielen – als hätte er nicht gerade sieben Stunden lang Musik gemacht. Oder vielleicht hat er das ja auch gar nicht. Wer weiß das schon so genau, wenn man die halbe Nacht geschlafen hat?

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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