„Katharsis“ im Akademietheater: Das große Herz des Mmadi Make

Kultur

Dead Centre hat wieder ein Stück entwickelt. „Katharsis“ ist allerdings eine aufdringliche, politisch überkorrekte Sezierstunde in Sachen Rassismus

Das Duo Dead Centre studierte den „Tractatus logico-philosophicus“, um einen verblüffenden Abend zu ersinnen, der sich „Alles, was der Fall ist“ nannte, aber mit Ludwig Wittgensteins Thesen nicht viel zu tun hatte.

Danach dürften Ben Kidd und Bush Moukarzel „Unrast“ von Olga Tokarczuk studiert haben. In diesem Roman aus 2007, eher ein Sammelsurium, beschäftigt sich die spätere Literaturnobelpreisträgerin mit einem Phänomen unserer Zeit, der Hektik. Eingebettet in die Lebensgeschichte einer Schriftstellerin sind diverse Texte – etwa über den Anatom Philip Verheyen, der sich ein Bein amputierte, um es sezieren zu können. Oder über das Herz von Frédéric Chopin, das nach dessen Tod tatsächlich von Paris nach Warschau geschmuggelt wurde. Der neue Abend sollte daher „Chopins Herz“ heißen.

Doch das, was  am  Samstag im nicht ausverkauften Akademietheater zur Uraufführung  gelangte, hieß „Katharsis“ – und erinnerte nur entfernt an „Unrast“: Die Briten konzentrierten sich in ihrem „atomischen Theater“ auf die bekannte Geschichte des Mmadi Make, der im 18. Jahrhundert als Angelo Soliman am Wiener Hof Karriere machte und danach, mumifiziert, ein besonderes Exponat in der kaiserlichen Wunderkammer abgeben sollte. 

 

Aus dem Programmheft erfahren wir, dass er „aus dem subsaharischen Afrika und aus einer nicht-christlichen, höchstwahrscheinlich muslimischen Familie kam“. Bei Dead Centre kämpft Josephine, die Tochter von Mmadi Make, darum, ihren Vater begraben zu dürfen (das Duo bezieht sich auf drei fiktive Briefe im Roman von Olga Tokarczuk). Zunächst wendet sie sich an Mozart, dann an den Direktor der Wunderkammer und schließlich an Kaiser Franz II.

  Bad Ischl und St. Pölten: „Die da oben erklären uns die Region“

Sonderbare Analogie

Die Briten stellen eine Analogie zur „Antigone“ von Sophokles her: Kreon, Herrscher über Theben, verbietet die Bestattung seines Neffen Polyneikes, da dieser Krieg gegen die Stadt geführt hat. Er soll verwesen. Doch die Schwester des Gedissten hält sich nicht daran. Der Unterschied ist: Mmadi Make wurde sehr wohl begraben, wie man im Programmheft erfährt – einen Tag nach seinem Tod. Ohne Haut allerdings. (Das Schändliche ist ja nicht das Nicht-Begraben, sondern das Ausstopfen.)

Mmadi Make sei, liest man, einem Schlaganfall erlegen. Komischerweise interessieren sich die Anatomen auf der Bühne aber nie für das Gehirn von Mmadi Make, der überaus intelligent und gebildet gewesen ist: Sie sezieren zunächst das Herz. Er hätte ein großes gehabt (im doppelten Wortsinn), und sie ziehen den Schluss, dass er wohl an Herzinfarkt gestorben sei. Danach untersuchen sie die Lunge und die Gedärme und die Haut.

Dead Centre gehen in ihrer 90-minütigen Unterrichtseinheit recht manipulativ vor. Und nur der Beginn ist originell: Während Antigone (Safira Robens) ihre Schwester Ismene (Katrin Grumeth) um Hilfe bittet, tritt ein Schauspieler aus dem Chor und wendet sich an das Publikum: Er biete diesem seinen Körper dar.

 

(c) Marcella Ruiz Cruz / Marcella Ruiz Cruz

Dann legt sich Ernest Allan Hausmann nackt auf den Seziertisch und mutiert zur Leiche von Mmadi Make. Um in der Sekunde von den Toten aufzuerstehen – als Anatomieprofessor, der die Sezierübungen, mit Video an die Rückwand projiziert, wortreich kommentiert. Und er verkörpert später auch Kaiser Franz II. Warum dieser dann auf das Ausstopfen …read more

  Osterfestspiele Salzburg: Herr Bachler, kann man zu Wagner tanzen?

Source:: Kurier.at – Kultur

      

(Visited 1 times, 1 visits today)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.