Lucia Berlin: Tiefe Gefühle? Lieber einen Witz erzählen

Kultur

Vor 20 Jahren starb Lucia Berlin. Ihre Kurzgeschichten erzählen, ebenso wie ihre Briefe, von nur halb geglückten Leben. Die US-ameikanische Schriftstellerin war Meisterin der tiefgründigen Beiläufigkeit

Sie sind allein, trinken zu viel, schlagen sich mit miesen Jobs herum. Leben in Texas, Chile oder New Mexico. Haben Gewalt erfahren und oft mehr als eine Sucht. Und bleiben trotzdem Glückssuchende, deren Blick den Sternschnuppen am Himmel über der Wüste von El Paso folgt.

Die Frauen, von denen Lucia Berlin schreibt, haben kein Leben wie in der Gala. Kann gut sein, dass Berlin beim Verfassen dieser Biografien aus der eigenen schöpfte. Was ihre Protagonistinnen durchmachen, hat sie selbst erlebt. Das familienbedingte Herumtingeln im Südwesten der USA, die miesen Jobs, die kaputten Ehen mit Männern, die sich schwertaten im Leben. Trotzdem hat sie es geschafft, zu schreiben, Erzählbände zu veröffentlichen und an der Universität von Boulder, Colorado, zu unterrichten.

Bekannt war Lucia Berlin zu Lebzeiten kaum. Sie war, schreibt sie, „grottenschlecht im Selbstmarketing“. Als ihre Kurzgeschichten vor einigen Jahren wiederentdeckt wurden, war das eine kleine Sensation. Sie wurde auf Anhieb zur New-York-Times-Bestseller-Autorin, bekam endlich die Anerkennung, die sie verdiente. Auch in der deutschen Übersetzung von Antje Rávic Strubel, die auch Joan Didion ins Deutsche übertragen hat, überzeugt Berlins Ton. Er erinnert mit seiner Beiläufigkeit und seinem Witz an Raymond Carver, mit noch mehr Tiefe. Berlins großes Vorbild aber war Anton Tschechow. „Er lässt die Dinge offen.“ Ähnlich Berlin: gestochen, kitschlos, sparsam – aber immer ist alles da, was man braucht.

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Neben Kurzgeschichten hinterließ Berlin auch Briefe, von denen einige nun, ebenfalls von Antje Rávic Strubel übersetzt, zum ersten Mal auf Deutsch vorliegen.

Ich hab dich gern

„Love, Loosha“ versammelt Briefe zwischen Lucia Berlin und dem Dichter und Broadway-Texter Kenward Elmslie. Die beiden lernten einander im Sommer 1994 bei einem Schreib-Workshop kennen. Es machte sofort „Klick“. „Lieber Mann – ich ‚kenne‘ dich nicht, aber ich habe dich sehr, sehr gern“, schreibt sie im ersten von über tausend Briefen, die die enge, über zehn Jahre währende Freundschaft dokumentieren. Getroffen haben die beiden einander danach nur noch selten, geschrieben haben sie einander bis zu Berlins Tod, vor dem sie schon Jahre nicht mehr ohne Sauerstoffflasche auskam.

„Zugleich heilig und frivol, beglückend und beschämend“ erscheine ihr das Lesen solcher Briefe, gesteht die Übersetzerin im Vorwort. Ein Glück, dass sie sich überwinden konnte. „Love, Loosha“ ist hinreißend. Insbesondere Berlins Sprache, ihre zugleich saloppe und dann wieder hochliterarische Art zu erzählen und ihre Sicht auf die Welt berühren. „Ich weiche tiefen Gefühlen immer aus, normalerweise mit einem Witz“, bekennt sie. Kenward Elmslie schildert seine Bewunderung für die schreibende Freundin folgendermaßen: „Du und Paul Auster, ihr seid mir ein Rätsel darin, wie ihr es schafft, Seiten zu Papier zu bringen, die nicht ‚geschrieben‘ wirken und mir trotzdem so eine Lesefreude bereiten.“ Neben aufrichtigen, entwaffnend persönlichen Offenbarungen treibt die beiden Lektüreerfahrung, Tratsch und Weltpolitik um. Man fühlt sich beim Lesen nicht wie ein Eindringling, sondern wie ein rechtmäßiger Teilnehmer an der Konversation zwischen Freunden.

Lucia Berlin starb an ihrem 68. Geburtstag, dem 12. November 2004. Beim Begräbnis sang Kenward Lucias …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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