Stummer Film, sprechende Gemälde: Horten Collection zeigt Expressionismus

Kultur
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Egon Schiele war ein passionierter Kinogeher. Das Haus in der Alserbachstraße 39, in dem der Künstler 1909/’10 ein Atelier besaß, beherbergte zu jener Zeit das Kino „Grand Etablissement Vindobona“. Der Maler sah gewiss die Filmaushänge und war wohl selbst oft dort zu Gast – gemeinsam mit seinem Freund Erwin Osen, den der Maler um 1910 häufig porträtierte. Der „Mime van Osen“ sollte später, in den 1920ern, selbst Filmregisseur werden.

Dieses Detail ist nur eines von unzähligen, die auf eine Verwandtschaft hinweisen, die nun die Ausstellung „Experiment Expressionismus – Schiele meets Nosferatu“ in der Wiener Horten Collection trägt: Der Stummfilm war im frühen 20. Jahrhundert nicht nur das populäre Medium schlechthin, er hob auch extreme Ausdrucksformen – sprechende Hände, verzerrte Gesichter, ungewöhnliche Perspektiven auf Körper, Gebäude und Dinge – auf ein neues Podium. Und er interagierte dabei mit Malerei, Zeichnung, Tanz, Theater und dem Zeitgeist an sich.

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All das ist Stoff für mehr als nur eine Ausstellung. Die Horten Collection versucht trotzdem, alles und noch mehr unter ein Dach zu bringen: Denn es gilt ja auch, die Sammlung, die den Kristallisationskern des Hauses bildet und kapitale Werke des deutschen Expressionismus (etwa von Max Pechstein, Erich Heckel, Alexej von Jawlensky) beinhaltet, herzuzeigen. Wobei diesmal mehr als bei früheren Ausstellungen des Hauses auch prominente Leihgaben (aus dem Belvedere, dem Leopold Museum, aus Privatsammlungen) zu sehen sind.

In den zwei oberen Etagen des Hauses ergibt sich daraus ein Dilemma: Der Reichtum an Werken begräbt die Erzählung. Und diese leidet wiederum daran, dass sie gleichzeitig in mehrere Richtungen geht – eine filmhistorische, eine kunsthistorische, eine zeitgeschichtliche.

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Verzopft

Die Stränge sind in den Räumen zopfartig verschlungen, verbinden sich aber allzu oft nicht. Da ist einmal die Malerei, dicht aufgereiht: Das Porträt der Tilla Durieux von Max Oppenheimer hängt da. Oder Lilly Steiners wunderbares Bildnis der Lilian Gaertner (1927) mit weit aufgerissenen Augen und verkrampft angespannten Händen, für die man in der Fachliteratur das schöne Wort „Ausdrucksarabeske“ gefunden hat.

Privatsammlung/Kunsthandel Widder

Hier lassen sich Verbindungslinien ziehen – zu Stummfilmen („Orlacs Hände“, 1924), den auf die Wand projizierten Exzerpten von „Nosferatu“ (1922) und zu Schieles dandyhaften Selbstinszenierungen, die im Geiste noch bis zu den Falco-Shows der 1980er nachwirkten.

Doch leider zieht die Schau solche Verbindungen – und die Möglichkeit, durch die offene Architektur Blickachsen zu schaffen – nicht konsequent durch. Warum etwa brauchte es eine Galerie expressionistischer Landschafts- und Aktbilder? Warum Kleinplastiken? Warum hängt Herbert Boeckls Selbstporträt hier? Was haben Helene Funkes Damenbildnisse neben Albin Egger-Lienz’ Bild von Soldaten zu suchen?

Übertönt

Die Kakofonie, die infolge der vielen gleichzeitig gezogenen Register aus der Expressionismus-Orgel ertönt, wird dadurch nicht besser, dass der Filmexperte Roland Fischer-Briand seine Beiträge in einer gänzlich anderen Tonalität in die Ausstellung setzt. Der Co-Kurator hebt zwei Werke des Filmexpressionismus besonders hervor – Fritz Langs „Metropolis“ (1925) und Robert Wienes „Cabinet des Dr. Caligari“, das 1920 einen regelrechten Hype auslöste, samt Guerrilla-Marketingkampagne („Du musst Caligari werden!“) und der Popularisierung auf „Caligari-Kirtagen“.

Angesichts Fischer-Briands detailbesessener Abhandlung des Themas im Katalog ist es fast schmerzhaft, in dem Ausstellungskabinett, das dem Film gewidmet ist, von einer Ansicht von „Kitzbühel …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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