
Ohne Kunst kein Tourismus, ohne Tourismus keine Kunst: Dass sich Wien-Besucher heute vor Museen wie der Albertina und dem Belvedere anstellen und damit alle möglichen Effekte für den Wirtschaftsstandort mit sich bringen, hat nicht unwesentlich mit den Reisen zu tun, die Menschen früherer Generationen auf sich nahmen.
Ohne diese gäbe es nämlich keine Museumssammlungen, keine alpinen Landschaftsgemälde, keine Klimt-Attersee-Bilder. Von der durch Künstlerreisen angestoßenen Inspiration des Formenvokabulars, die vom Ringstraßenpalais bis zu Bronzedenkmälern so ziemlich alles im Wiener Stadtbild formt, sprechen wir hier gar nicht: Dieser Austausch war schon Thema in der letzten großen Albertina-Ausstellung, „Leonardo-Dürer“.
Dass in exakt denselben Räumen nun die sommerliche Schau „Fernweh – Künstler:innen auf Reisen“ (bis 24. 8.) stattfindet, ist ein Signal dafür, dass der seit Jahresbeginn amtierende Direktor Ralph Gleis den hauseigenen Sammlungen von Werken auf Papier und der Expertise der damit befassten Kuratorinnen und Kuratoren einen erhöhten Stellenwert einräumt.
Angesichts der zu füllenden Ausstellungsfläche hat Kuratorin Elisabeth Dutz Bildwerke aus dem Depot geholt, die von den Bildungsreisen von Adeligen im 18. Jahrhundert bis zur Weltumsegelung der österreichischen Fregatte „Novara“ (1857–1859) einen sehr weiten Bogen spannen.
ALBERTINA, WienAuf der Suche nach Formaten
Das ergibt viel Schauwert, aber auch einige Längen: Es wirkt ein wenig so, als sei die Albertina, die unter ihrem früheren Direktor praktisch nie Themenausstellungen zeigte, noch auf der Suche nach Formaten, um ihren Reichtum abseits der Fokussierung auf Meisterwerke oder prominente Namen zu vermitteln. Der kulturhistorische Kontext, in dem die Bilder entstanden und ihren Weg in die Sammlung fanden, wird dabei nur grob umrissen.
Einige „große Namen“ findet man in der Schau allerdings doch: So empfangen im ersten Saal vier Blätter mit Landschafts- und Architekturansichten, die niemand geringerer als Johann Wolfgang von Goethe während seiner Italienreise 1787 in Sepia-Technik festhielt.
ALBERTINA, Wien
Der Dichterfürst folgte wie viele Aristokraten seiner Zeit dem Ruf an den „Sehnsuchtsort“ Italien – und auch er engagierte für seinen Trip nach Sizilien mit Christoph Heinrich Kniep einen „Reisezeichner“, der den Amateur bei seinen eigenen Bildnotizen anleitete. Von Kniep selbst sind ebenso einige Werke in der Schau zu sehen, er brachte etwa eine „Landschaft bei Segesta“ minutiös aufs Papier.
Die „Grand Tour“
Der Ausstellungsparcours ist lose nach Reiserouten unterteilt, deren Destinationen praktischerweise auf Karten an der Wand mitgeliefert werden: Die „Grand Tour“ von England nach Italien macht den Anfang; antike Stätten in Italien, bei denen sich bald auch das Bürgertum klassische Bildung besorgte, folgen. Dem frühen Alpintourismus im 19. Jahrhundert ist ebenso eine Sektion gewidmet wie der „Romantischen Rheinreise“ zu Schlössern, Burgen und dem Kölner Dom, der in einer Darstellung von 1780 noch ein gotisches Überbleibsel war: Seine heutige Form fand der Bau erst ein Jahrhundert später.
Albertina
Die Darstellungen taugen zweifellos für einen mentalen Kurzurlaub, nähren sie doch auch die romantische Vorstellung einer Zeit, in der das Reisen exklusiver war, die Destinationen weniger überlaufen und das Künstlerdasein darin bestand, sich mit Skizzenblock und Stift in die Schönheit der Welt zu versenken. Einige solcher Skizzenbücher, etwa von der Künstlerin Tina Blau und dem Maler Friedrich Gauermann, sind stille Highlights der Schau.
Tölpel-Touristen
Richtig interessant wird es freilich dort, wo die Romantik …read more
Source:: Kurier.at – Kultur