
Die Festwochen sind schon lange ein sicherer Hafen für Produktionen der Berliner Volksbühne. Dass man dieses Jahr Kurdwyn Ayubs „Weiße Witwe“ vom Rosa-Luxemburg-Platz ins Wiener Volkstheater holte, ist bei dem Shootingstar-Status der Wiener Filmemacherin keine Überraschung. Die Produktion fügt sich auch perfekt in Milo Raus diskursverliebtes Programm ein.
„Europa“ prangt da in arabischen Lettern über der orientalisch gestalteten Bühne. Im Jahr 2666 herrscht der „Islamische Staat Europa“ übers Abendland. Seine Königin, Aliah, schläft jede Nacht mit einem neuen weißen Mann, anschließend lässt sie diese töten. Die Unersättliche wirft sie einer riesigen schwarzen Sci-Fi-Spinne zum Fraß vor, die immer wieder effektvoll herabschwebt. So sehr Ayub in ihren Filmen einem Realismus mit natürlich anmutenden Dialogen anhängt, so sehr schöpft sie als Theaterregisseurin aus dem Vollen: Tanzeinlagen mit Pop von Rednex („Cotton Eye Joe“) bis Britney Spears („I’m a Slave 4 U“), Nebelschwaden, Strobo-Effekte, Live- und Tiktokvideos, Kulissenwechsel, kurz: „tausendundeine Idee“, wie der KURIER schon bei der Berliner Uraufführung im Februar befand.
Apollonia T. Bitzan
Erdrückend dominant: Bühnenbildnerin Nina von Mechows Monstermarionette einer Schwarzen Witwe
Der – auch in anderen Kritiken – bemängelte Umstand, dass zu viel angeteasert und mit zu wenig Tiefgang ausgestattet wird, wurde seitdem nicht wesentlich behoben. Man wird das Gefühl nicht los, dass Ayub sich nur ein einziges Mal ins Theater bemühen und daher alles reinpacken wollte, was ihr dazu einfällt. Nach einer guten Stunde stellt sich Ermüdung ein – oder in Anlehnung an einen Werbespruch: Der Orient-Express fährt nicht mehr in den Tunnel.
Der Ausflug unter die Gürtellinie ist berechtigt – denn der Ton deses 105-minütigen Abends ist mächtig und prächtig derb, vor allem wenn ihn die Neuköllner Rapperin addeN anschlägt. Sie verleiht ihrer männerverschlingenden Aliah ein wahres Schandmaul, diese Tour de F-Wort sorgt immer wieder für berechtigte Lacher.
Apollonia Theresa Bitzan / Apollonia Theresa Bitzan
Georg Friedrich als orientalisch gewandeter Alteuropäer – hier nicht aus Berlin, sondern aus Wien Floridsdorf.
Verspielt
Obwohl Ayub in Interviews bekundet, ein Kind des Fernsehens zu sein und kein „Theater zu schauen“, beweist sie dennoch ein Händchen für die Bühne. „Weiße Witwe“ changiert zwischen trashiger Farce und Königsdrama. Denn gestorben wird ausgiebig – wenn auch der Zugang stets verspielt und satirisch bleibt.
Der Grundgedanke ist bestechend und die Klischees wirken nie aufdringlich. Ayub rückt dem exotisierenden Bild vom Orient zu Leibe und tut dies mit einer interessanten Umkehrung. Verkörpert von Georg Friedrich, der sich als alter weißer Mann das Narrativ zurückholen darf. Nachdem die Jünglinge ausgehen zu drohen, landet er, eingerollt in einen Perser, im Palast. Er übernimmt die Rolle der mythischen Scheherazade, die durch endloses Erzählen überleben konnte. Sein Dieter Weißmann erzählt über die zum Islam konvertierte Samantha Lewthwaite, die seit dem Londoner Anschlag von 2005 als „White Widow“ gesucht wird.
Die stärksten Momente gelingen Ayub, wenn sie ihre Figuren im Plauderton wiedergeben lässt, wie sie selbst im Kulturbetrieb in die Rolle des „braven Mädchens“ gedrängt werden soll. Als Alter Ego fungiert hier Cezaria (Samirah Breuer), die das Regime ihrer Macho-Mama stürzen will – auch mithilfe des Palast-Eunuchens (Benny Claessens), der am Schluss noch einen …read more
Source:: Kurier.at – Kultur