Die Grande Dame des Rassemblement National und ihr Vater sind wegen Veruntreuung von EU-Geldern angeklagt. Schadet ihnen der Prozess – oder nutzt er gar?
Marine Le Pen ist bekannt für die Schärfe, mit der sie ihre politischen Gegner, allen voran Präsident Emmanuel Macron, anklagt. Ab Montag wird die französische Rechtsextreme selbst auf der Anklagebank in Paris Platz nehmen. Gemeinsam mit 26 weiteren, teils ehemaligen Mitgliedern ihrer Partei Rassemblement National (RN), die bis 2018 noch Front National (FN) hieß, steht sie dem Vorwurf der Veruntreuung von EU-Geldern gegenüber.
Zwischen 2004 und 2016 sollen mehrere Assistenten von Front-National-Europaabgeordneten in Wahrheit für die Partei gearbeitet haben, die damals hoch verschuldet war. Laut Anklage gab es sogar ein eigenes System zur Bezahlung interner Mitarbeiter über die EU. Unter den Beschuldigten befinden sich auch Marine Le Pens Vater, der 96-jährige FN-Gründer Jean-Marie Le Pen, ihr ehemaliger Lebenspartner Louis Aliot, Rassemblement-National-Vizepräsident sowie Bürgermeister von Perpignan und Parteisprecher Julien Odoul.
6,8 Millionen Schaden
Der Verdacht der massiven Veruntreuung kam 2015 nach einer anonymen Meldung ans EU-Parlament ans Licht. Demnach bekleideten mehrere parlamentarische Assistenten Positionen innerhalb der offiziellen FN-Strukturen. In der Folge leitete das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) eine Untersuchung ein, auch die französische Justiz ermittelte. Das EU-Parlament beziffert den entstandenen Schaden auf 6,8 Millionen Euro.
Einen Teil dieses Betrags holte das Amt bereits durch das Einbehalten von Abgeordneten-Gehältern zurück. Auch überwies Marine Le Pen im vergangenen Jahr 330.000 Euro. Dennoch weist sie die Vorwürfe zurück und betont, dass die Assistenten „nicht nur einfache EU-Beamte“ seien, sondern eine „politisch Rollen“ inne hätten.
Presseberichte bestärkten jedoch den Verdacht der Scheinbeschäftigung. „Was Marine von uns verlangt, kommt der Unterzeichnung von fiktiven Jobs gleich“, zitiert die französische Zeitung Le Monde aus einer früheren E-Mail des Ex-Europaabgeordneten Jean-Luc Schaffhauser. Im Falle von Ermittlungen sitze er in der Patsche, schrieb der EU-Mitarbeiter Mickaël Ehrminger: „Ich habe keinen einzigen Arbeitsnachweis.“
Ähnlichen Vorwürfen stand bereits die Mitte-Partei MoDem (Mouvement Démocrate), die mit Präsident Macron verbündet ist, gegenüber. Zu Beginn des Jahres wurde sie mit einer Geldbuße belegt, mehrere ehemalige EU-Abgeordnete sowie Parteikader erhielten Bewährungsstrafen, teils auch hinsichtlich des Verbots, für einen bestimmten Zeitraum, bei Wahlen anzutreten. Dies stellt ein erhebliches Risiko für Le Pen dar, die voraussichtliche RN-Kandidatin für die Präsidentschaftswahl 2027. Sollte sie im Falle einer Verurteilung Einspruch geltend machen, könnte der Berufungsprozess Ende 2026 während des Wahlkampfs stattfinden.
Der Trump-Effekt
Dem Politologen und Experten für öffentliche Meinung Jérôme Fourquet zufolge muss ihr der Prozess trotzdem nicht unbedingt schaden, zumal die Partei nicht zum ersten Mal vor Gericht steht – Marines Vater Jean-Marie Le Pen war wiederholt verurteilt worden, unter anderem wegen antisemitischer Äußerungen oder Aufstachelung zum Rassenhass. „Marine Le Pen dürfte durch diese Affäre trotz der großen Medienaufmerksamkeit keine großen Wähleranteile verlieren, außer im Fall sehr schwerer Sanktionen, wie einer Gefängnisstrafe.“
Sollte sie mit einem Wahlverbot während eines bestimmten Zeitraums belegt werden, könnten das ihre Anhänger – ähnlich wie in den USA jene von Ex-Präsident Donald Trump – sogar in der Überzeugung bestärken, man versuche ihr den Triumph zu „stehlen“: „Weil ihnen der Sieg 2027 sicher erscheint, werden sie denken, dass es …read more
Source:: Kurier.at – Politik