In jeder Fraktion gibt es Abgeordnete, die dem Nationalrat endgültig den Rücken kehren. Was nehmen sie mit – und was werden sie nicht vermissen?
Kurier/Gilbert Novy
Michel Reimon, Grüne: „In der Politik bleiben eher die mit einer hohen Schmerzgrenze“
„Ich habe in der Politik gelernt, dass man absolute Sachlichkeit leben muss. Das bedeutet, die Beziehung zu Menschen vom Inhalt der Debatte zu trennen. Wer beleidigt ist, weil er hart kritisiert wird, hat in der Politik schnell überhaupt niemanden, mit dem er verhandeln kann. Ein Beispiel: Leonore Gewessler wurde von der ÖVP angezeigt. Außerhalb der Politik bedeutet das: Mit so jemandem redet man wenig bis gar nichts – warum auch? Immerhin hat er dich angezeigt! In der Politik geht das nicht, du musst dich weiter hinsetzen und reden – sonst kommst du bei Themen, die dir am Herzen liegen, keinen Millimeter weiter. Ein anderer Unterschied zur Privatwirtschaft: Wenn du als Unternehmer mit einem Dienstleister ständig Probleme hast, kannst du versuchen, einen anderen zu finden. In der Politik geht das nicht. Es gibt nur dieses eine politische System. Langfristig führt das dazu, dass man hart wird. Und es sorgt dafür, dass eher die übrig bleiben, die eine hohe Schmerzgrenze haben. Trotz allem ist Politik sehr erfüllend. Man verändert die Gesellschaft – im Idealfall zum Besseren.“
Michel Reimon hatte seit 2010 Mandate inne (Landtag, EU-Parlament, Nationalrat). Er wird sich mit einer Firma selbstständig machen.
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Philipp Schrangl, FPÖ: „Wenn Du das Mandat ernst nimmst, gibt’s keine freien Wochenenden“
„Als ich mit 27 Jahren in den Nationalrat gekommen bin, hatte ich ein fertiges Studium und eine Ausbildung. Das hat mir eine gewisse Sicherheit gegeben, weil ich nicht völlig abhängig war von der Politik. Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Als Abgeordneter einer Regierungspartei war es natürlich spannend. In der FPÖ spielen Bünde keine Rolle, da hast Du als Bereichssprecher viel mehr Einfluss auf Sachthemen als beispielsweise bei SPÖ oder ÖVP. Was ich auch mitnehme ist, dass man sehr, sehr belastbar wird. Vor allem, was den Zeitaufwand angeht. Wenn man sein Mandat ernst nimmt, gibt es de facto keine freien Wochenenden. Gerade als junger Abgeordneter musst du auf Veranstaltungen präsent sein, damit dich die Menschen kennenlernen und wissen, was genau Du tust. Was mir nicht sehr abgehen wird, das sind Sitzungen, die lange bis nach Mitternacht dauern.“
Philipp Schrangl zog 2013 in den Nationalrat ein. Er wird sich jetzt verstärkt dem Job als Notar widmen.
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Katharina Kucharowits, SPÖ: „In keinem Job wird man so breit ausgebildet“
„Eines ist mir vorab wichtig: Es ist ein Privileg, Abgeordnete zu sein. Du bist eine von nur 183 in ganz Österreich. Ich habe immer versucht, das zu verinnerlichen und zu leben. Was nehme ich mit? In keinem anderen Job wird man so breit ausgebildet. Du hast Zugang zu vielen Expertinnen, man kommt mit unglaublich vielen Menschen in Kontakt – im In- wie im Ausland. Davon zehrt man ewig. Das ändert aber nichts daran, dass Demokratie anstrengend und mitunter zermürbend ist. Damit bei Themen etwas weitergeht, muss man wieder und immer wieder dranbleiben. …read more
Source:: Kurier.at – Politik