Bablers Bekenntnis: Darf man heute noch Marxist sein?

Politik

Der SPÖ-Kandidat spielt mit dem politischen Kampfbegriff. Das bleibt wohl an ihm kleben.

Mit seinem Satz „Ich bin ein Marxist“ hat SPÖ-Kandidat Andreas Babler eine ideologische Debatte losgetreten. Aber ist der Begriff tatsächlich gleichzusetzen mit den Gräueln der Sowjetunion, wie seine politischen Gegner behaupten? Politikwissenschaftler Anton Pelinka erklärt im KURIER-Interview, wo die Grenzen der Demokratie in dieser politischen Philosophie verlaufen.

KURIER: Andreas Babler spielt mit dem Marxismus. Was bedeutet der Ausdruck heutzutage eigentlich? Landläufig verbindet man damit Sowjetunion und Diktatur des Proletariats.

Pelinka: Der Marxismus hat sich historisch in zwei Hauptrichtungen aufgespalten: Die Richtung, die sich dann Marxismus-Leninismus genannt hat, hat die Demokratie, wie sie in Österreich verstanden wird und im Bundesverfassungsgesetz verankert ist, abgelehnt. Das war eine Ein-Parteiendiktatur. Die andere ist eine sozialdemokratische Interpretation, die auch der Austro-Marxismus in der SPÖ nach 1918 vertreten hat.

➤ Mehr dazu lesen Sie hier: SPÖ-Kandidat Andreas Babler: „Ich bin Marxist“

Worin unterscheidet sich der Leninismus, der zum blutigen Sowjetregime führte, vom Austro-Marxismus konkret?

Der Austromarxismus war in die Bundesverfassung und ihre Spielregeln eingebunden, während der Leninismus eine Einparteiendiktatur war – mit Unterdrückung der Opposition und mit den blutigen Auswüchsen. Diese haben übrigens nicht erst mit Stalin begonnen, sondern schon mit Lenin und Trotzki. Die Demokratie ist hier die Wasserscheide. In Österreich hat sich die SPÖ nach 1945 schrittweise von einer marxistischen Interpretation abgesetzt, etwa im Parteiprogramm 1958. Da steht ausdrücklich, dass man aufgrund einer marxistischen Denkweise oder einer anderen Sozialdemokrat sein kann. Kreisky war übrigens der erste große Parteivorsitzende, der sich vom Austro-Marxismus als Wortgeklingel abgesetzt hat.

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Wladimir Iljitsch Lenin.

Die SPÖ benannte sich in den 90ern von Sozialistischer Partei in Sozialdemokratische Partei um. Eine Abkehr vom Marxismus. Macht Babler hier einen Rückschritt?

Eigentlich ja. Babler spielt offenbar bewusst auf gewisse nostalgische Sehnsüchte an. Aber: Die Sozialdemokratische Partei steht ja nicht nur für die nach 1945 vorgenommenen Verstaatlichungen der, sondern auch für deren Privatisierung unter Franz Vranitzky und seinem Finanzminister Ferdinand Lacina.

Da wären wir bei einem Kernthema des Marxismus, der Enteignung von Besitz. Wie lässt sich das mit Demokratie vereinbaren?

Wir haben in Österreich nach 1945 eine weitgehende Verstaatlichung gehabt. Das wurde von einer großen Koalition, also mit Zustimmung der ÖVP durchgeführt. Sie ist durchaus vereinbar mit der Demokratie, wenn sie aufgrund der Spielregeln der Demokratie legal zustande kommt.

Damals stand man vor den Trümmern der Verheerungen des Zweiten Weltkrieges. Es handelte sich um den Besitz eines Unrechtsregimes.

Heute ist das ohne Notsituation irgendwie schwer begründbar. Eine pragmatische Verstaatlichung nach den Spielregeln der Demokratie ist möglich, aber in der derzeitigen Situation schwer vorstellbar.

Marx hat argumentiert, das Proletariat möge die Bourgeoisie enteignen. Inwieweit lassen sich diese Begriffe in der heutigen Gesellschaft eigentlich noch anwenden? Ich würde in Frage stellen, ob man den Begriff Proletariat heute noch verwenden kann. Und wenn man ihn verwendet, dann besteht es großteils aus nicht österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, denen der Zugang zur Staatsbürgerschaft und zum Wahlrecht sehr schwer gemacht wird. Die Sozialdemokratische Partei setzt sich für dieses aktuelle Proletariat, das eben aus mehrheitlich Ausländern besteht, offenbar nicht ein. Rund eine Million Menschen …read more

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Source:: Kurier.at – Politik

      

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