
Der Internationale Strafgerichtshof wird schon demnächst Haftbefehle gegen politisch oder militärisch hochstehende Persönlichkeiten erlassen. In Russland wird das laut Experten für ordentlich Aufregung sorgen.
70.000 Kriegsverbrechen durch russische Soldaten hat die Ukraine bisher gezählt, darunter Folter, Verschleppung, Morde. Kann Wladimir Putin je dafür belangt werden?
Geht es nach dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, lautet die Antwort: ja. Laut New York Times soll Chefankläger Karim Khan demnächst zwei Anklagen erheben. Der KURIER beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.
Was hat der Gerichtshof in Den Haag genau vor?
Geplant ist, Bombardements auf zivile Ziele als auch die Verschleppung ukrainischer Kinder strafrechtlich zu verfolgen. „Dazu werden mit Sicherheit demnächst Haftbefehle erlassen werden“, sagt der Völkerrechtler Gerd Hankel, Autor des Buches „Putin vor Gericht?“. „Der Strafgerichtshof steht unter hohem Erwartungsdruck.“
Ist es wahrscheinlich, dass Putin dafür selbst angeklagt wird?
„Ja, das ist denkbar“, sagt Hankel. Es sei zwar möglich, dass der IStGH nur anonyme Haftbefehle erlässt, damit die Verfolgten nicht abtauchen. Hankel rechnet aber mit Namen – und auch damit, dass nicht „der kleine Kompaniechef, sondern politisch oder militärisch hochstehende Persönlichkeiten“ auf der Liste stehen.
Wen könnte es da treffen?
Um jemanden anzuklagen, braucht es exakte Beweise und den Nachweis einer genaue Befehlskette – also einen Befehl oder ein Memo. Da der Gerichtshof aber das Prinzip der Vorgesetztenverantwortung anwendet, können aber auch Personen vor Gericht gestellt werden, die Verantwortung übernommen haben. Ein Beispiel dafür ist Marija Lwowa-Belowa, Putins Kommissarin für Kinderrechte. Sie sprach öffentlich über Deportationen und Umerziehungen ukrainischer Kinder, hat selbst einen Jugendlichen aus Mariupol adoptiert.
EPA/MIKHAIL METZEL/SPUTNIK/KREMLIN POOL
Putin mit Marija Lwowa-Belowa, seiner Kinderrechtsbeauftragten – sie könnte für die Deportationen ukrainischer Kinder belangt werden.
Verhandelt kann aber nur werden, wenn die Angeklagten in Den Haag sind. Wir das je passieren?
Das ist die große Frage. Die Verantwortlichen müssten ausgeliefert werden, was vor allem bei Putin vorerst nicht wahrscheinlich ist. Aber: „Auch bei Serbenführer Milošević hat anfangs niemand damit gerechnet“, sagt Hankel. Er stand dem Wiederaufbau Serbiens im Weg. Wird Putin zur Belastung, weil die Kosten durch Krieg und Sanktionen steigen und steigen, könnten seine Wegbegleiter schwach werden. Das ist eine Sichtweise, die auch namhafte Experten in Russland teilen. „Auch wenn man sich offiziell nichts anmerken lassen wird – in Russland wird die Aufregung wegen der Anklagen sicherlich groß sein“, sagt Hankel.
Moskau erkennt den IStGH nicht an. Wie können russische Verbrechen dennoch verhandelt werden?
Die Rechtsgrundlage gibt es, weil die Ukraine die Gerichtsbarkeit des IStGH seit 2014 anerkennt. Putins Immunität ist dabei irrelevant.
Was ist mit dem Sondertribunal, das Annalena Baerbock und Ursula von der Leyen propagieren?
Das wäre ein zweiter Weg, Putin anzuklagen. Für Hankel stünde dies aber „auf tönernen Füßen“: Die eine Variante, ein hybrides Tribunal mit ukrainischen und internationalen Richtern, würde an Putins Immunität scheitern; die andere Variante, ein internationales Tribunal wie in Nürnberg ’45/46, würde von vielen Länder in Asien, Südamerika und Afrika nicht unterstützt
Wieso zögern die USA, Den Haag Beweise zu liefern?
Präsident Biden will helfen, aber das Pentagon blockiert. Der Grund: Man will keinen „Präzedenzfall schaffen“, schreibt die NYT, also kein Türe öffnen, um auch US-Kriegsverbrechen zu ahnden. „Die USA haben den IStGH nicht …read more
Source:: Kurier.at – Politik