
Seit drei Monaten versammeln sich jeden Abend tausende Menschen vor dem Parlament in Tiflis. Erschöpfung bekämpfen sie mit Kreativität – und der Hoffnung auf westliche Unterstützung.
Von Timo Buchhaus
Vor dem Parlament in Tiflis, Georgien. Wo vor kurzem noch Straßenschlachten zwischen Polizei und Demonstranten stattfanden, geht es jetzt ruhiger zu. Touristen spazieren die Prunkstraße Shota Rustaveli entlang, kaufen Souvenirs, vermitteln den Eindruck von Normalität. Wer will, kann aber jeden Abend etwas anderes beobachten. Dann mischen sich nach und nach Demonstranten – erkennbar an Flaggen, die sie wie Umhänge tragen – unter die Touristen.
Das erste Pappschild blitzt durch die Menge. Es zeigt Ministerpräsident Irakli Kobachidse und den pro-russischen Oligarchen Bidsina Iwanischwili. Die Menge wächst, bis die Polizei eine lange Reihe bildet, um die Demonstranten von der Straße zu trennen. Spätestens jetzt ist auch der letzte Urlauber verschwunden.
Ab da geht alles schnell. Wie auf ein stummes Kommando stürmen die Demonstranten auf die Straße und drücken die Polizisten zur Seite, die sich widerstandslos hinter das Parlament zurückziehen. Der Verkehr kommt zum Erliegen. Die Straßenverkäufer wechseln ihr Sortiment: von Souvenirs auf georgische Nationalflaggen.
Der Haupteingang des Parlaments ist gesperrt, eine hohe Metallwand zieht sich zwischen den Marmorsäulen entlang. Die Demonstranten klopfen, hämmern, treten dagegen. Kinder üben Kung-Fu-artige Tritte aus, die Wütendsten werfen Pflastersteine, das gibt jedes Mal einen lauten Gong.
Wie eine Kirchenglocke schallt es über die Rustaveli hinweg und erinnert daran, warum die Menschen da sind: Die politische Elite hat sich hinter Mauern verschanzt und regiert über die Köpfe der Menschen hinweg.
Timo Buchhaus
Stählerne Mauern vor dem Parlament
Der Auslöser
Bei den Wahlen im Oktober erreichte die russlandfreundliche Partei Georgischer Traum laut offiziellem Ergebnis die Mehrheit. Die Opposition vermutet Wahlbetrug, viele Bürger sprechen von gekauften Stimmen.
Ende November verkündete Regierungschef Kobachidse einen Stopp der EU-Beitrittsgespräche. Und das, obwohl laut Umfragen 85 Prozent der Georgier einen EU-Beitritt befürworten.
Anfangs wurden die Proteste von der Polizei mit massiver Gewalt bekämpft. Amnesty International schätzt zudem, dass etwa 300 der 460 inhaftierten Demonstranten misshandelt wurden. Seit Mitte Dezember sind die Proteste ruhiger geworden. Und so gibt es auf der Rustaveli nun länger keine Bilder mehr von Wasserwerfern und CS-Gas-umhüllten Hundertschaften.
Die Regierung hat eine neue Strategie
Statt auf systematische Gewalt, die immer ein internationales Medienecho zufolge hatte, setzt die Regierung auf eine neue Taktik. Ende Dezember erhöhte sie alle administrativen Strafen im Zusammenhang mit dem Versammlungsrecht drastisch. Wer einen unerlaubten Protest organisiert, muss nun etwa 5.200 Euro zahlen – eine existenzbedrohende Summe in einem Land, in dem viele knapp 400 Euro monatlich verdienen.
Laut Alexander Kavtaradze, Professor der Ilia-State-University, gibt es zwar Fonds, die hier finanzielle Hilfe leisten. Doch die seien ebenfalls Ziel der Maßnahmen: „Der Versuch besteht darin, die Geldstrafen so stark zu erhöhen, dass selbst diese Fonds nicht mehr ausreichen.“
Hoffnung in Ex-Präsidentin verloren
Die Angst vor den Strafen und unfairen Gerichtsverfahren führt dazu, dass einige Leute die Proteste mittlerweile scheuen. Dazu kommt, dass die Bewegung keinen Anführer hat. Kurz sah es so aus, als würde Salome Surabischwili, bis zur Angelobung von Micheil Kawelaschwili Präsidentin, eine zentrale Rolle einnehmen. „Aber entgegen ihrem Versprechen, sich für uns einzusetzen“, meint der …read more
Source:: Kurier.at – Politik