
Der KURIER hat bei Susanna Haas, pädagogische Leiterin bei der St. Nikolaus-Stiftung der Erzdiözese Wien, nachgefragt. Sie managt damit 86 Kindergärten in Wien.
KURIER: Wie sehen Sie den Vorstoß des Kanzlers, als er im diesjährigen ORF-Sommergespräch 4,5 Mrd. Euro für die Lücke in der Kinderbetreuung der 1–3-Jährigen in Aussicht gestellt hat?
Susanna Haas: Grundsätzlich haben wir uns sehr darüber gefreut. Auch in den letzten Monaten gab es immer wieder Aussagen von verschiedenen Politikern, Sozialpartnern und Institutionen und das freut uns, weil schon lange nicht mehr so viel über den Kindergarten gesprochen wurde. Was uns nicht freut ist, dass nur über die Quantität gesprochen wird, also den Ausbau und nicht über die Qualität, die dringend notwendigen Verbesserungen der Rahmenbedingungen.
Warum spricht der Kanzler nur davon, die Lücke der Ein- bis Dreijährigen schließen zu wollen?
Österreichweit gibt es viel zu wenig Plätze für Kinder unter drei Jahren, diese Altersgruppe braucht noch intensivere Zuwendung als die über Dreijährigen. D.h. kleinere Gruppen, das beste ausgebildete Personal und einen höheren Fachkraft-Kind-Schlüssel. Darum wurde der Ausbau für die unter Dreijährigen in den letzten Jahren wahrscheinlich auch nicht so forciert – weil er kostenintensiver ist.
Nach Zahlen des Familienministeriums sind rund 32 Prozent der unter Dreijährigen in einer Betreuungseinheit. 68 Prozent werden nicht betreut. Die Politik will vor allem VIF-Konforme Betreuungsmöglichkeiten ausbauen, die Öffnungszeiten anbieten, die mit einem Vollzeitjob der Eltern vereinbar sind.
Ja, da geht es immer um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Sinne einer Betreuung. Kindergarten ist eine Bildungseinrichtung und ich fürchte, dass wir kein Personal finden werden, welches unter diesen Bedingungen in einer Bildungseinrichtung arbeiten will. Die Möglichkeit zum Quereinstieg, die Bildungsminister Polaschek angekündigt hat, finden wir sehr gut. Auf der anderen Seite werden schon seit vielen Jahren viele Menschen ausgebildet, die aber nicht in den Beruf kommen, weil die Rahmenbedingungen nicht passen.
Warum passen die Rahmenbedingungen nicht?Das eine ist die Gruppengröße. Es sind zu viele Kinder in einer Gruppe. In einer Kleinkindergruppe werden in Wien zum Beispiel 15 Kinder unter drei Jahren von einer Fachkraft und einer Hilfskraft begleitet. Bei diesem Fachkraft-Kind-Schlüssel kann keine individuelle Förderung stattfinden, hier geht es dann um Betreuung. . Pädagoginnen haben eine Ausbildung gemacht und erwarten, das umsetzen zu können, was sie gelernt haben. Sie werden dann enttäuscht, wenn sie in den Kindergarten kommen. Das andere ist die Zeit für mittelbare pädagogische Arbeit, also zum Beispiel Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche und Fortbildungen. Dafür hat eine Elementarpädagogin in Wien durchschnittlich fünf Stunden pro Woche Zeit, 35 Stunden ist sie in der Einrichtung mit dem Kind. Das kann sich nicht mehr ausgehen.
Kurier / Gerhard Deutsch
Wie schätzen Sie die Situation bei den 3-6-Jährigen ein?
Plätze für Eltern stehen zum Beispiel in Wien ausreichend zur Verfügung und sind VIF-konform. Aber die Rahmenbedingungen stimmen hier auch nicht. Hier besteht dringender Handlungsbedarf bei der Gruppengröße und bei der Anzahl des Fachpersonals in der Gruppe. Wenn man die Gruppegröße aktuell nicht reduzieren kann, weil man so viele Plätze nicht bereitstellen kann, sollte mehr Personal in der Gruppe sein. Nicht eine Pädagogin sollte für 15 Kinder in Kleinkindergruppen zuständig …read more
Source:: Kurier.at – Politik