
Säkular oder islamistisch, pro oder gegen die kurdische Minderheit: Die türkischen Parteien sind divers, nur nationalistisch sind sie (fast) alle.
„60 bis 70 Prozent der türkischen Bevölkerung wählen heute Rechtsparteien. Das Potenzial für Linksparteien liegt bei maximal 30 Prozent“, analysiert der Türkei-Experte und Direktor des Österreichischen Instituts für internationale Politik (oiip) Cengiz Günay.
Was Günay damit sagen will: Die Türkei ist heute konservativer als noch vor einigen Dekaden. Der Richtungswechsel begann in den 80er-Jahren, „Religion wurde zum Fangnetz für soziale Unzufriedenheit“. Gefördert hat das nicht nur, aber maßgeblich, Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Dazu kommt ein seit jeher stark ausgeprägter Nationalismus – den Satz des viel verheerten Republikgründers Atatürk, „Wie glücklich derjenige, der sich Türke nennen kann“, lernen Schüler nach wie vor in den türkischen Schulen.
Mit der Parteienlandschaft in Österreich ist jene in der Türkei auch deswegen schwer zu vergleichen, noch dazu ist sie viel dynamischer, der Erfolg von Parteien viel kurzlebiger. Hier eine Auffrischung vor der Stichwahl am Sonntag zwischen Erdoğan und Kemal Kılıçdaroğlu, welche Parteien hinter den Kandidaten eigentlich stehen.
Die AKP
Die Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP), die „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“, ist heute von Präsident Erdoğan, der 2001 die Partei mitbegründet hatte, nicht mehr zu unterscheiden. Sie gilt als rechtspopulistische, islamisch-konservative Partei mit einem Hang zum Neoosmanismus – also der Betonung der früheren Grenzen des Osmanischen Reichs und ein wirtschaftliches und außenpolitisches Mitmischen innerhalb dieser noch heute.
Erdoğan nutzt seit jeher den politischen Islam als wesentlichen Teil seiner Politik. In seinen ersten Jahren als Ministerpräsident stand die AKP auch für Fortschritt, eine wirtschaftliche Öffnung der Türkei, eine marktliberale Wirtschaftspolitik, die auch im Westen und bei der EU gut ankam. Dazu kamen die Verbesserung der Gesundheitsversorgung, der Ausbau von Infrastruktur und Öffentlichen Verkehrsmitteln sowie juristische Reformen. 2005 bekam die Türkei dadurch sogar offiziell den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Deswegen stimmten anfangs auch viele säkulare, liberale Teile der Bevölkerung für die Partei.
Im Laufe der Jahre an der Macht wurde sie gemeinsam mit der Türkei unter Erdoğan immer mehr in Richtung Religion getrimmt und autoritär geführt.
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Die CHP
Wichtigstes Merkmal der Cumhuriyet Halk Partisi (CHP), der Republikanischen Volkspartei und der wichtigsten Oppositionspartei: der Laizismus, also die Trennung von Staat und Religion, wie es einst Republik- und Parteigründer Atatürk propagierte und streng durchsetzte. Den hat die Partei mittlerweile etwas abgeschwächt: So hat sich Kemal Kılıçdaroğlu, Oppositionsführer und Vorsitzender der CHP, etwa im Wahlkampf von einem Kopftuchverbot distanziert.
Dazu kommen die Prinzipien des Republikanismus – in der Vergangenheit stellte sich die CHP etwa gegen den Putschversuch gegen Erdoğan von 2016, aber auch gegen den Umbau zum Präsidialsystem 2017 – sowie Revolutionismus, Etatismus, Populismus und Nationalismus. Für diese Grundsätze stehen auch die sechs Pfeile, das Erkennungssymbol der Partei.
Ihre ideologische Ausrichtung ist sozialdemokratisch, sie möchte Korruption und Vetternwirtschaft bekämpfen, alles aber mit einem starken Schuss Nationalismus. So hetzt die Partei mittlerweile auch offen gegen Geflüchtete aus Syrien, will diese zurück ins Bürgerkriegsland abschieben. Im aktuellen Sechserbündnis koaliert die Partei mit islamistischen, Rechts- und nationalsozialistischen Parteien.
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Source:: Kurier.at – Politik