Todestag von Jina Mahsa Amini: Iranerin erzählt, was heute anders ist

Politik

Vor elf Monaten erzählte Gisou dem KURIER, warum sie für mehr Rechte auf die Straße ging. Ein Jahr nach Beginn der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste plant sie, das Land für immer zu verlassen.

Wenn die 28-jährige Gisou (Name von der Redaktion geändert) ihre Wohnung verlässt, ist ihr Kopfhaar vollständig von einem Hidschab, einem Kopftuch, bedeckt. Wenn sie ihn nicht tragen müsste, würde sie ohne rausgehen – aber darüber denkt sie nicht mehr viel nach. Als sie das letzte Mal mit dem KURIER sprach, war das anders.

Damals, fast ein Jahr ist es her, trug die Wirtschaftsstudentin alle paar Tage große Sonnenbrillen und eine FFP2-Maske, um nicht erkannt zu werden. Gisou nahm aktiv an den landesweiten Protesten teil, die nach dem Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam (siehe Faktenbox weiter unten) ausgebrochen waren. Aus Gisous Hidschab ragten in dieser Zeit Haare heraus, teilweise nahm sie ihn wie viele andere ganz ab.

Im Februar hat sie mit alldem aufgehört. Ein Ereignis, das ihr viel Hoffnung raubte, fand aber schon Ende 2022 statt: Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar.

Als der Iran am 21. November in Doha gegen England spielte, waren die Schlagzeilen am nächsten Tag nicht voll mit vom englischen 6:2-Sieg. Sondern mit der Nachricht, dass die iranischen Spieler die eigene Nationalhymne vor Anpfiff nicht mitgesungen hatten. Es war ein Sportskandal, der politischer nicht hätte sein können – die ganze Welt schien dabei zugesehen zu haben, wie die Fußballer sich dem iranischen Regime unter seinem geistlichen Führer Ali Khamenei widersetzt und sich hinter die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung der Bevölkerung gestellt hatten.

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Dann sangen sie wieder

Gisou war freudig überrascht davon, erinnert sie sich. Sie und einige ihrer Bekannten unterstützten das Team: „Wir wollten zeigen, dass wir zusammenhalten.“ Bald aber änderte sich das. Und als wenig später der offizielle Erzfeind USA gegen den Iran gewann und ihr Heimatland ausschied, freute Gisou sich. Denn ab ihrem zweiten Spiel hatten die iranischen Sportler wieder gesungen.

Gisou fühlte sich betrogen. Der gesamte Vorfall könnte Plan der Regierung gewesen sein, glaubt sie. Danach sei man sich im Land uneinig gewesen: „Ich war gegen das Team, meine Freundin dafür – wir haben uns gestritten.“ Und die Regierung? „Khamenei ist wahrscheinlich gemütlich in seinem Stuhl gesessen und hat uns lächelnd zugesehen“, glaubt die junge Frau.

„Wenn sie mich jetzt umbringen, war es umsonst“

Als Gisou Wochen später entschied, den Protest aufzugeben, lag das aber nicht an einem konkreten Ereignis. „Eines Tages ist mir klar geworden: Wenn wir bis jetzt noch keinen Erfolg hatten, dann wird das nichts mehr“, sagt sie. Sie habe Angst um ihr Leben gehabt. Und irgendwann habe sich das für sie nicht mehr ausgezahlt: „So viele Leute sind bereits gestorben, und ich dachte mir: Wenn sie mich jetzt umbringen, war es umsonst.“ Natürlich wolle sie Frieden sehen. Aber sie wolle sich auch nicht für nichts töten lassen.

Und so versucht Gisou, die Aufrufe zu den Protesten so gut es geht zu ignorieren. Sich an die Vorschriften zu halten. Der Sittenpolizei nicht aufzufallen. Die sei heute strenger denn je, hat sie den Eindruck. Die Polizei steht …read more

Source:: Kurier.at – Politik

      

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