
Von außen sieht es aus wie immer. Die Aufschrift auf den Waggons ist noch die alte, ebenso das Logo auf den blauen Warnwesten der Ticketkontrolleure und als der Zug einfährt, kündigt ihn Stationswart Ethan, wie gewöhnlich als „1500, South Western Train to London-Waterloo“ an. Und doch hat sich diese Woche ein Paradigmenwechsel vollzogen: Der südenglische Zuganbieter South Western ist nun Teil der Great British Railway – er wurde von der Labour-Regierung zurück ins Staatseigentum geführt.
Es ist eine ungewöhnliche Kehrtwendung für Großbritannien. Als Margaret Thatcher 1979 an die Macht kam, nahm die Privatisierung zwar nur einen kleinen Teil ihres Manifestos aus. Doch im folgenden Jahrzehnt wurde der Verkauf staatlicher Betriebe – Post, Telekom, Bahnverkehr, aber auch die Wasserversorgung – an private Investoren ein Markenzeichen ihrer Ära.
APA/AFP/JOHNNY EGGITT
Margaret Thatcher hat die Privatisierung in Großbritannien ins Rollen gebracht
Unternehmen in Staatsbesitz, so ihr Credo, seien ineffizient; privates Eigentum würde zu höherer Produktivität, besserer Leistung, mehr Erfolg führen.
Strafzahlungen und Insolvenzen
Das hat sich nicht ganz bewahrheitet. Thames Water wurden soeben zu 146,59 Milliarden Euro Strafe verdonnert, weil Geld als Prämien an Investoren anstatt für angemessene Infrastruktur ausgegeben wurde. Im Energiesektor gingen allein zwischen 2021 und 2022 29 Energieunternehmen insolvent, weil sie den Anstieg der Energiepreise nicht bewältigen konnten.
Und im Bahnbereich wächst der Unmut der Passagiere: Züge fallen zu häufig aus, sind überfüllt oder verschmutzt, und ein Ticket von Brighton nach London kann so viel kosten wie ein Flug nach Europa.
EPA/ANDY RAIN
Deshalb hat die Labour-Regierung eine Maßnahme beschlossen, die zumindest im Bahnbereich zu höherer Produktivität, besserer Leistung und mehr Erfolg führen soll. Nach der South Western Railway wird im Juli der Anbieter c2c, im Oktober Greater Anglia verstaatlicht; bis 2027 sollen es insgesamt neun Betriebe sein. Ein „kultureller Neubeginn“, meinte Transportministerin Heidi Alexander.
Skepsis in der Bevölkerung
Sehen das die Briten auch so? Am Bahnhof Waterloo sitzt Lydia Robinson neben ihren zwei Reisekoffern. Dass sie gerade in einem verstaatlichten Zug gesessen ist, war ihr nicht bewusst. „Na, hoffentlich werden die Preise günstiger“, sagt sie. „Derzeit ist es billiger mit dem Auto zu fahren – das ist nicht richtig.“
Bauer Anna-Maria
Lydia Robinson hofft, dass die Tickets günstiger werden.
Die Regierung stellt in Aussicht, dass durch die Verstaatlichung 178 Millionen Euro an Ausgleichszahlungen an bisherige Bahnbetreiber eingespart werden kann. Ob sich das auf die Ticketpreise niederschlägt, bleibt abzuwarten.
Ein paar Sitzbänke weiter scrollt Matt Archibold auf seinem Smartphone. Glaubt er an eine Veränderung durch den staatlichen Bahnverkehr? „Am Anfang wird es sicher ein paar Verbesserungen geben – schon um zu beweisen, dass sich die Umstellung gelohnt hat. Aber langfristig werden die Ambitionen wohl wieder versanden.“
Bauer Anna-Maria
Matt Archibold glaubt nicht an eine langfristige Verbesserung.
Sarah Parker ist noch nicht einmal so optimistisch: „Wird es denn genug Finanzierung geben? Damit die Züge pünktlich fahren können, sie nicht überfüllt sind?“
Alles (noch) beim Alten
Am selben Abend, kurz vor Dienstschluss, bildet sich eine unruhige Menschentraube vor dem Ankündigungsbord. Ein Zug in den Süden verspätet sich, ein anderer wurde soeben gestrichen. Als endlich ein Zug in diese Richtung einfährt, hasten die Passagiere zum entsprechenden Gleis, manche beginnen zu joggen. „Ach“, ruft …read more
Source:: Kurier.at – Politik