Gerade als die Zeichen auf Annäherung zwischen Kurdenmiliz PKK und türkischer Regierung stehen, erschüttert ein Terroranschlag die Türkei. Was hinter dem Zeitpunkt steckt.
Die Fotos der Überwachungskamera, die bereits kurz nach dem Anschlag am Mittwochnachmittag im Netz kursierten, zeigten eine schwarzhaarige, unverhüllte Frau und einen Mann, beide mit einem großen, schwarzen Rucksack und einer Schusswaffe mit Schalldämpfer in der Hand. Fünf Menschen wurden bei dem Angriff auf die türkische Waffenproduktionsfirma Turkish Aerospace Industries am Stadtrand von Ankara getötet, 22 wurden verletzt.
Noch am späten Mittwochabend sprach die türkische Regierung von ersten Informationen, die den Anschlag auf die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zurückführten, die in der Türkei, den USA, Großbritannien und der Europäischen Union als Terrorgruppe eingestuft wird. Beide Angreifer sollen als PKK-Mitglied identifiziert worden sein. Die Türkei griff noch in der Nacht Quartiere der PKK im Nordirak und der syrischen Kurdenmiliz YPG, die als Ableger der PKK betrachtet wird, aus der Luft an. Präsident Recep Tayyip Erdoğans befand sich zu dem Zeitpunkt in Russland beim BRICS-Gipfel.
Der Anschlag ereignete sich just zu einem Zeitpunkt, bei dem eigentlich der Versuch eines neuen Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der Kurdenmiliz möglich schien.
APA/AFP/ADEM ALTAN
Trauer um den Taxifahrer Murat Arslan, der beim Anschlag in Ankara getötet wurde. 24. Oktober 2024.
Im seit Jahrzehnten andauernden Konflikt zwischen der Türkei und der militanten PKK, die Autonomie und mehr Rechte für die kurdische Bevölkerung fordert, und der zu Terroranschlägen, militärische Luftangriffen und Tausenden Todesopfern führte, deutete zuletzt vieles auf eine überraschende Entwicklung hin. Es begann mit einem öffentlichkeitswirksamen Handschlag und Gesprächen zwischen Erdoğans Koalitionspartner, der eigentlich rechtsextremen, ultranationalistischen MHP, und der pro-kurdischen DEM-Partei im türkischen Parlament – eine Sensation und eine Art Stimmungstest für die ultranationalistischen Wähler, glauben Beobachter.
Freilassung gegen Verfassungsänderung?
Kurz vor dem Anschlag wurde dann sogar eine Rede des seit 25 Jahren inhaftierten und auf einer Gefängnisinsel isolierten PKK-Führers Abdullah Öcalan, dem Staatsfeind Nummer eins in der Türkei, im Parlament sowie eine mögliche Freilassung in Aussicht gestellt, sollte er dem Terror abschwören. Die Meldung sorgte für Schlagzeilen in der Türkei.
Ganz uneigennützig sind die Annäherungsversuche aber nicht: Viele meinen, dass es Präsident Erdoğan bei der Annäherung um die Stimmen der pro-kurdischen DEM-Partei im Parlament geht. Die bräuchte es nämlich für eine Verfassungsänderung, und die wäre nötig, damit Erdoğan spätestens 2028 für eine weitere Amtszeit als Präsident kandidieren könnte. Erdoğans Regierung hat 323 Stimmen, er bräuchte 361 Stimmen sowie die Zustimmung der Türken bei einer Volksabstimmung.
Die Annäherung wurde nicht nur deswegen als unaufrichtig empfunden: „Die Regierung kann Öcalan nicht freilassen. Das kann sie sich nicht leisten“, sagt der Politologe Hüseyin Bağci von der Ankara Global Advisory Group. Schon 2015 war eine von Erdoğan in Aussicht gestellte Freilassung Öcalans an der Meinung der Öffentlichkeit gescheitert und sorgte für Stimmverluste für Erdoğans AKP bei den Wahlen 2015.
Laut Bağci zeige der Anschlag auch, dass der seit 25 Jahren inhaftierte Öcalan keine große Relevanz mehr habe für die PKK: „Er kann die PKK nicht mehr kontrollieren, hat an politischer Kraft und charismatischer Stärke eingebüßt.“ Der Anschlag hat sich …read more
Source:: Kurier.at – Politik