Die neuen islamistischen Machthaber in Syrien öffneten für alle die Zellentüren – und da tun sich bisweilen unglaubliche Schicksale auf.
Ins Gefängnis kam der Student und Regimekritiker (so zumindest der Vorwurf) mit 18 Jahren. Das war 1986, und an der Macht war damals Hafez al-Assad, der Vater des nun geflohenen Diktators Bashar al-Assad.
Jetzt, eine versuchte Revolution, einen grauenhaften Bürgerkrieg und einen echten Umsturz später, ist Ali Hassan al-Ali nach 38 Jahren ein freier Mann. Als die islamistischen Rebellen die syrische Stadt Hama überrannten, öffneten sich für den heute 57-Jährigen die Türen seiner Zelle.
Diese verließ er zwar lebend, aber – gezeichnet von den Jahrzehnten hinter Gittern – als alter Mann. Für Moammar al-Ali, der im Nordlibanon wohnt und nie aufgegeben hat, nach seinem Bruder zu suchen, ein kleines Wunder.
„Es gab keinen Platz in Syrien, an dem wir nicht nach ihm gesucht haben“, sagte Moammar al-Ali der britischen Tageszeitung „The Guardian“. Einmal habe es geheißen, er sei irgendwo interniert, dann sei dies wieder dementiert worden.
Die zunächst letzte Information, die die Familie damals erhielt, sei die gewesen, dass der Inhaftierte in ein Militärgefängnis nach Damaskus verbracht worden sei. Dann setzte der Arabische Frühling 2011 ein, und es folgte der bis heute andauernde Bürgerkrieg in Syrien.
All die Jahre erhielt Moammar al-Ali kein einziges Lebenszeichen seines älteren Bruders – bis Donnerstag der Vorwoche. Verwandte und Freunde schickten ihm alle dasselbe Foto: Es zeigt einen gebrechlichen, alten Mann vor dem Zentralgefängnis in Hama. „Es ist mein Bruder“, schrieb Moammar al-Ali bewegt zurück.
Sowohl Assad sen. wie Assad jr. ließen Kritiker zu Zehntausenden in ihren berüchtigten Gefängnissen verschwinden. Beide sahen in dieser systematischen und zur Perfektion ausgereizten Maßnahme ein probates Mittel, jeglichen Widerstand zu brechen.
Hinter den Gefängnismauern wurden Geständnisse und Informationen unter brutalster Folter von den Inhaftierten buchstäblich herausgeprügelt. Viele überlebten diese Torturen nicht.
Zuletzt ging man davon aus, dass rund 136.000 Menschen in syrischen Gefängnissen festgehalten wurden. Die allermeisten davon sind nun frei, nachdem die Rebellen im ganzen Land die Macht übernommen haben.
Darunter befinden sich ehemalige Kampfgenossen und Sympathisanten der Islamisten-Truppe, aber wohl auch „normale“ (Klein-)Kriminelle, zudem laizistische Aktivisten, die Bashar al-Assad im Zuge des Arabischen Frühlings demokratisch von der Macht entfernen wollten sowie auch Uralt-Gefangene aus der Ära Assad sen. wie eben Ali Hassan al-Ali.
Nicht nur er uns seine Familie haben nun Grund zur Freude, auch die befreiten Insassen des berüchtigten Sednaya-Gefängnisses in der Hauptstadt Damaskus. Dieses galt über die Landesgrenzen hinaus als besonders grausam und trug den Beinamen „der Schlachthof“.
APA/AFP/Google Earth/HANDOUT
Nach der Machtübernahme kursieren im Internet nun Videos, die kleine Kinder zeigen, die aus der Anstalt strömen: Sie sahen in ihrem Leben bisher nichts anderes als die Zelle, in der sie geboren wurden…
Und vier Männer berichten, dass sie buchstäblich im letzten Moment mit ihrem Leben davonkamen: „Unsere Exekution war an diesem Tag bereits beschlossene Sache. Doch eine halbe Stunde davor, sind unsere Wächter (vor den anrückenden Einheiten) davongelaufen.“
Bruder erleichtert, aber …
Das Quartett feiert gleichermaßen seine zweite Geburt, wie wohl auch Ali Hassan al-Ali, dessen Bruder meint: „Wenn er endlich heim kommt, wird es ein Riesenfest geben.“ Doch …read more
Source:: Kurier.at – Politik