Jährlich beantwortet der Kremlchef Bürger- und Journalistenfragen – in übergroßer Inszenierung, großteils einstudiert. Das sagt viel über die totalitäre Politik des Kreml aus.
Spötter sagen „Weihnachtskomödie“ dazu. Wladimir Putin nennt es nur „Ergebnisse des Jahres“. So, als ob alles, was er hier sagt, die einzige Wahrheit ist.
Vor Jahren bereits hat es der Kremlchef zur Tradition gemacht, den Russen am Ende des Jahres die Welt zu erklären. Am Donnerstag war es wieder soweit, die Inszenierung wie immer ähnlich: Putin an einem überdimensionierten Tisch, vor ihm hunderte Journalisten, hinter ihm eingespielte Bürgerfragen, mehr als zwei Millionen sollen es gewesen sein.
Das Spektakel wird auf Riesenscreens auf der Straße übertragen, es ist komplett durchinszeniert und einstudiert; und jährlich wiederholen sich auch gewisse Rituale. Putin beleidigt die wenigen westlichen Journalisten (die meisten sind ohnehin nicht zugelassen), zitiert absurde Statistiken, um seine Allwissenheit zu demonstrieren (heuer wusste er, wie viele Quadratmeter Wohnraum heuer wo genau gebaut wurden) und wälzt jegliche Kritik an Gouverneure und Beamte ab (sie werden dann vor laufender Kamera geschulmeistert oder gar entlassen).
Neu war in diesem Jahr aber eines: das Selbstbewusstsein und die Leichtigkeit, mit der Putin all das machte. 2022, ein paar Monate nach Kriegsbeginn, hatte er sein Jahresend-Pressekonferenz ganz ausfallen lassen, vergangenes Jahr hielt er sie zwar ab, war aber düster wie selten. Heuer kommt ihm zugute, dass die Lage an der Front besser ist als in den vergangenen zweidreiviertel Jahren, und auch die Weltpolitik ächtet ihn nicht mehr als Schlächter von Butscha, sondern will ihn an den Verhandlungstisch holen.
APA/AFP/ALEXANDER NEMENOV„Gerüchte übertrieben“
Diese Gemengelage freut Putin sichtlich, das sieht man ihm an. Viereinhalb Stunden spricht er ohne Pause, will all seinen Kritikern zeigen, wie fit er sei, trotz seiner 72 Jahre und der vielen Spekulationen über Krankheiten. Als ein NBC-Mann ihn fragen darf, ob Assads Sturz ihn nicht geschwächt habe, zitiert er lächelnd Mark Twain: „Gerüchte über meinen Tod sind gnadenlos übertrieben.“
Dabei ist es nicht alles rosig in seinem Land. Die Bürger, deren Fragen vorab ausgewählt wurden, sorgen die Inflation, die offiziell bei 8,9 Prozent, inoffiziell aber wohl bei bis zu 20 liegen dürfte; und das teure Leben – Kartoffeln kosten doppelt so viel wie vor einem Jahr, und auch die Butter ist so teuer, dass Geschäfte Diebstahlsicherungen anbringen.
Darauf hat Putin immer dieselbe väterliche Antwort: Er habe alles im Griff, werde die Zuständigen hart bestrafen. Bei allem anderen fühlt er sich unzuständig: Assad? Habe er seit dessen Ankunft in Moskau nicht gesehen. Trump? Habe ihn noch nicht angerufen, aber er sei bereit. Die Ukraine? Die hätte er schon vor 2022 angreifen müssen, sagt er – und tut wieder so, als wäre seine Invasion ein unvermeidbares Naturereignis gewesen. Für Verhandlungen, setzt er gnädig nach, gebe es aber keine Bedingungen.
Dass das so nicht stimmt, wissen alle im Saal. Reden will Putin nicht, dafür sind die Erfolge an der Front zu groß; und auch ein Blick auf sein Verteidigungsbudget offenbart das. Die Militärausgaben fressen 40 Prozent des Etats, den Bürgern wird das aber verschwiegen.
Seine Kriegsziele offenbart er subtil. Mitten in der Show ist hinter ihm die …read more
Source:: Kurier.at – Politik