Das kleine Molekül wird in Europa weiter als große Hoffnung für die Energiewende beworben, doch die Realität hält damit nicht Schritt
Solarflächen bis zum Horizont in der Sahara, daneben eine Wasserstoff-Produktionsanlage, Tausende Kilometer Pipelines, die das Gas nach Europa leiten – in Städte wie Amsterdam, die damit heizen, kühlen und ihre Busse auf den Weg schicken. Wer kürzlich auf der Wasserstoff-Woche in Brüssel unterwegs war, spazierte von einem europäischen Zukunftstraum dieser Art zum nächsten: Vorgestellt auf großer Bühne, in Multimedia-Präsentationen, in bunten Hochglanz-Broschüren.
Grau statt Grün
So bunt aber ist die Realität, was Wasserstoff betrifft, keineswegs. Zwar hört man von Vertretern der Industrie in Brüssel ständig, wie dringend ihre Werke Wasserstoff brauchen würden. Doch das, was auf dem Energiemarkt zu einem konkurrenzfähigen Preis angeboten wird, ist nicht der grüne, also klimafreundlich aus Solar- oder Windstrom hergestellte Wasserstoff, sondern sogenannter „grauer Wasserstoff“. Der kommt aus Erdgas und trägt damit kaum zur Klimawende bei.
Die EU-Kommission versucht das seit Jahren zu ändern. Eine eigens ins Leben gerufene und mit Milliarden gefütterte Wasserstoff-Bank soll Produzenten von grünem Wasserstoff ihre höheren Herstellungskosten mit Förderungen abgelten. Damit sie auf dem Energiemarkt mithalten können. Eine erste Förderrunde ist kürzlich über die Bühne gegangen, die hat zwar grundsätzlich funktioniert. Die Ergebnisse, also die tatsächlich dabei in Gang gesetzte Wasserstoff-Produktion, sind zwergenhaft. Zumindest, was die Ziele der EU-Kommission betrifft. Die will spätestens 2030 zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoff in Europa produzieren. Derzeit liegt man bei sieben Prozent davon. „Die Ziele der EU sind unrealistisch“, urteilt Ben McWilliams, Energieexperte für die Brüsseler Denkfabrik Bruegel, „und darum kommt die Produktion nicht voran.“
Viele Produzenten haben inzwischen die Konsequenzen gezogen. Riesige Projekte zur Herstellung von grünem Wasserstoff, die noch vor einem Jahr heftig beworben wurden, sind inzwischen auf Eis gelegt: In Spanien etwa, wo der Mineralölkonzern Repsol an der südlichen Mittelmeerküste riesige Flächen dafür bereits reserviert hatte, aber auch in Deutschland oder Norwegen.
„Es hat einen riesigen Hype gegeben“, analysiert der Experte, „und jetzt haben die Firmen nachgerechnet und erkannt, dass sich kein Geschäft damit machen lässt.“ Die Konsequenzen beschreiben Beobachter des Energiemarktes ebenso pointiert wie resigniert: Mitspieler im Wasserstoff-Markt würden auf ihren Händen sitzen und abwarten, ob ein anderer den ersten Schritt wagt.
Doch nicht nur die Produktion stagniert, auch die Pipelines, die ja den Wasserstoff von den Produktionsstätten zu den Abnehmern bringen sollen, wachsen nur auf dem Papier kreuz und quer durch Europa. Gerade einmal drei Prozent der geplanten Rohrleitungen in Europa sind inzwischen tatsächlich im Bau. Und das gilt nicht nur für die Fernleitungen, die über Grenzen reichen sollen, sondern auch für jene, die in den Städten den Wasserstoff in die Häuser liefern sollen.
Amsterdam, wo man noch vor Kurzem ganz auf Wasserstoff setzen wollte, überlegt jetzt, zumindest Teile dieses Plans umzusetzen. Anderswo ist der Energieträger ohnehin aus dem Rennen um Heizung und Warmwasser. Heizen mit Strom, also vor allem mit Wärmepumpen, ist die Technik, die in Europas Städten derzeit das Rennen mache, sagt Marta Lovisolo von der Denkfabrik Ecco. Ähnliches gelte auch für schwere Lkw, wo inzwischen auch Batterien die Energie für den Antrieb liefern …read more
Source:: Kurier.at – Wirtschaft