Als möglicher Juniorpartner der FPÖ muss sich die ÖVP von der Idee verabschieden, sie könne die Rechtspopulisten entzaubern. Im Gegenteil geht die ÖVP große Risken ein, meint der Politologe Thomas Biebricher.
Der Krise, oft gar der Sinkflug, der gemäßigten Konservativen in Europa gilt seit Jahren Thomas Biebrichers Forschungsblick. Geht die ÖVP nun tatsächlich eine Koalition mit der FPÖ ein, sieht der deutsche Politologe, der an der Goethe-Universität in Frankfurt lehrt, „große Gefahren“ für die österreichischen Konservativen“ – bis hin zu einer Zerreißprobe für die ÖVP
KURIER: Sie sagen, eine Koalition mit der FPÖ könnte die ÖVP mittelfristig in eine existenzielle Krise führen. Was bringt Sie zu dieser Vermutung?
Thomas Biebricher: Die Erfahrung zeigt, dass es für konservative Parteien selten gut ausgeht, wenn sie sich mit rechts-autoritären Kräften einlassen. Und das sogar, wenn die Konservativen die Seniorpartner waren. Man denke beispielsweise an die Niederlande oder an Italien. In fast allen Fällen kommen konservative Parteien schlechter raus als solchen Koalitionen als sie reingehen. Dies gilt umso mehr, wenn man wie im Fall der ÖVP als Juniorpartner so eine Partnerschaft eingeht.
Warum ist das so riskant?
In solch einer Konstellation kann die ÖVP wenige Wähler und Wählerinnen von der FPÖ dazugewinnen. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie bei der nächsten Wahl zur ÖVP wechseln. Umgekehrt werden jene zur Mitte orientierten Milieus, denen es um eine seriöse bürgerliche Politik geht, abgeschreckt. Wenn man zudem als Juniorpartner so eine Koalition eingeht, kann man auch kaum das Argument liefern: okay, wir bringen sie zur Raison. Daher denke ich, dass die ÖVP viel in der Mitte verlieren wird.
Heike Steinweg
Thomas Biebricher ist Heisenberg-Professor für Politische Theorie, Ideengeschichte und Theorien der Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Krise des gemäßigten Konservatismus in Deutschland und Europa.
Man muss nur nach Frankreich schauen: Das mahnende Beispiel der Republikaner, die sich im Umgang mit dem Rassemblement National schon mehr oder weniger selber zerlegt haben. Ein ähnliches Schicksal könnte der ÖVP drohen. Ein Teil der ÖVP wird sich der FPÖ noch weiter sehr stark annähern. Aber ein anderer Teil der ÖVP – wenn auch vielleicht nicht der aktuell tonangebende – wird hier massive Vorbehalte haben. Daraus resultiert die große Gefahr.
Wird die ÖVP dadurch ihr eigenes Profil verlieren?
Obwohl die ÖVP mit den Grünen in einer Koalition war, ist sie unterschwellig schon relativ lange näher an die FPÖ herangerückt – was die Migrationspolitik oder die Kultur-kämpferischen Themen usw angeht: Daher sehe ich nicht klar, wie sich die ÖVP von der FPÖ in so einer Koalition abheben will. Im Wahlkampf hatte sie ihr eigenes Profil abgesehen von Sachthemen ein Stückweit darauf aufgebaut, dass sie keine Koalition mit der FPÖ eingeht. Das ging jetzt natürlich verloren. Daher wird es nicht einfach sein, sich ein erkennbares Profil zu erhalten.
Warum lässt sich dann eine Partei darauf ein, mit einer stärkeren zu koalieren, wenn sie letztendlich schlechter aussteigt als vorher?
Im Falle von Österreich müsste man auch einfach sagen: Wegen der Ermangelung von Alternativen, denn diese wären wahrscheinlich Neuwahlen gewesen. Da hatte man vermutlich die Befürchtung, dass die FPÖ danach noch …read more
Source:: Kurier.at – Politik