Bei seiner Regierungserklärung reichte der französische Regierungschef den Sozialisten die Hand – aber immer mit Blick auf die angespannten Staatsfinanzen Frankreichs
François Bayrou begann seine Regierungserklärung am Dienstagnachmittag mit ein wenig Humor und einem Hauch von Selbstironie. Umfragen zufolge, so der französische Premierminister, glauben 84 Prozent der Menschen in Frankreich, seine Regierung werde dieses Jahr nicht überstehen. „Manchmal frage ich mich sogar, wo die 16 verbleibenden Prozent ihren Optimismus hernehmen“, scherzte der 73-Jährige.
Und doch habe die schwierige Lage seiner Regierung zwei Vorteile: Sie „zwingt zum Mut“ und treibe zur Suche nach Stabilität im Land an.
Bayrou wusste um den schmalen Grat, auf dem er wandeln musste.
Seit einem Monat ist er im Amt und nun stellt sich die Frage, ob er auf der Position bleiben kann oder noch in dieser Woche über den Misstrauensantrag stürzt, den die Linkspartei La France Insoumise („Das unbeugsame Frankreich“), kurz LFI, schon vorab angekündigt hatte.
Doch selbst wenn er diesen übersteht, könnten weitere folgen und sich die Abgeordneten der Oppositionsparteien gegen ihn verbünden. So erging es im Dezember Bayrous Vorgänger, dem ehemaligen konservativen EU-Kommissar Michel Barnier, als dieser das Budget für 2025 durchsetzen wollte und daran scheiterte.
Keine Mehrheit
Denn auch im Bündnis mit den Republikanern, die in der aktuellen Regierung vertreten sind, verfügt das Mitte-Lager hinter Präsident Emmanuel Macron seit den vorgezogenen Parlamentswahlen im letzten Sommer über keine ausreichende Mehrheit und ist auf die Zusammenarbeit mit weiteren Parteien angewiesen. Nachdem der rechtsextreme Rassemblement National (RN) zuletzt sein Wort gebrochen und Barnier trotz mehrerer Zugeständnisse gestürzt hatte, während LFI, die Kommunisten und letztlich auch die Grünen erneut abwinkten, blieben als mögliche Verhandlungspartner für Bayrou nur die Sozialisten. Diese lösen sich nach und nach aus der Allianz der vier linksgerichteten Parteien, auch wenn sie eine Regierungsbeteiligung ablehnten.
Bis in die Nacht hinein hatte Bayrou verhandelt und in letzter Minute einen Kompromiss gefunden: Die Sozialisten sprechen ihm nicht – oder zumindest nicht sofort – das Misstrauen aus, wenn der Regierungschef die unbeliebte Rentenreform, mit der vor zwei Jahren eine schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre beschlossen wurde, nochmals aufrollt.
Zwar verwies Bayrou auf die hohen Ausgaben für das aktuelle System, das schuldenfinanziert sei. „Die Schulden sind unerträglich, wenn sie den Kindern unsere laufenden Lebenshaltungskosten auferlegen“, sagte er. Aber unter der Bedingung, dass finanzielle Ausgeglichenheit angestrebt werde, sei er bereit, die Rentenreform gemeinsam mit den Sozialpartnern und „ohne Tabus“ in den nächsten Monaten neu zu verhandeln, um sie „gerechter“ zu gestalten.
So blieb Bayrou seinem Ruf als Verfechter einer strikteren Haushaltspolitik treu. Mit dramatischen Worten warnte der Premierminister vor den hohen Schulden, die „wie ein Damoklesschwert“ über Frankreich und seinem Sozialmodell hingen. Derzeit belaufen sie sich auf 3,2 Billionen Euro, rund 114 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das Defizit dürfte in diesem jahr 5,4 Prozent erreichen. Aktuell arbeitet die Regierung an einem neuen Haushaltsentwurf mit Einsparungen, die mehrere dutzend Milliarden Euro einbringen sollen.
Als weiteres, übergeordnetes Ziel nannte Bayrou in seiner Rede, in der er unter anderem auch Bemühungen zur Entbürokratisierung und eine Staatsreform versprach, die „Wiederversöhnung der Französinnen …read more
Source:: Kurier.at – Politik