Missbrauchsvorwürfe kosteten den Berliner Abgeordneten Stefan Gelbhaar die Karriere. Jetzt stellt sich heraus: Das war erfunden – und profitiert hat davon jemand aus Robert Habecks Team.
Anne K. steht auf der eidesstattlichen Erklärung, der volle Nachname fehlt. Der Politiker Stefan Gelbhaar habe sie geküsst, gegen ihren Willen, soll die Frau dort niedergeschrieben haben; sie selbst sei Parteimitglied. Der Vorwurf ging bei den Berliner Grünen ein, kurz vor Erstellung der Landesliste im Dezember. Gelbhaar wollte dort als Direktkandidat wieder in den Bundestag einziehen, seine Chancen waren mehr als gut.
Einziehen wird er nach der Wahl aber nicht mehr. Gelbhaar, seit 25 Jahren Parteimitglied und seit 2017 im Bundestag, hat seine Kandidatur zurückgezogen. Bald, nachdem die Vorwürfe bei der Partei gemeldet worden waren, berichtete nämlich auch der RBB darüber, der öffentlich-rechtliche Sender Berlins: Gelbhaar habe „systematisch Frauen innerhalb der Partei belästigt“, hieß es, es gebe gleich mehrere Betroffene.
Nur: Anne K. gibt es jedenfalls nicht.
Standards missachtet
Wie Recherchen des Berliner Tagesspiegels aufdeckten, existiert die Person mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Der RBB hat eingestanden, journalistische Standrads missachtet zu haben, er hat die Berichterstattung auch wieder zurückgezogen. Offenbar haben die Journalisten des Senders der Quelle vertraut, die angeblichen Betroffenen aber nicht selbst gesprochen.
Gelbhaar selbst hatte stets gesagt, alle Vorwürfe seien erfunden. Der Verdacht, dass er reingelegt wurde, erhärtet sich jetzt zunehmend: Kaum jemand weiß, wie es um die anderen angeblichen 17 Opfer bestellt ist, die ihm etwa K.o.-Tropfen im Glas oder ungewolltes Anfassen vorwarfen. Deren Vorwürfe wurden gesammelt übermittelt, und zwar von der Grünen-Politiker Shirin Kreße, die im selben Landesverband wie Gelbhaar aktiv ist. Sie ist vergangenen Samstag aus der Partei ausgetreten.
Wer hat die Intrige gesteuert?
Mittlerweile scheint klar, dass es eine Intrige war, denn die Beweislage ist äußerst dünn. Es liegen weder WhatsApp-Nachrichten noch Mails vor, und bis auf den wohl erfundenen Namen von Anne K. hat sich keine Betroffene zu erkennen gegeben. Ob die zurückgetretene Kreße die Drahtzieherin dahinter ist, ist noch aufzuklären: Sie hat ihren Hut auf Druck der Partei genommen, nachdem die grünen Bundeschefs Franziska Brantner und Felix Banaszak die Vorgänge in Berlin als „gravierend“ bezeichnet hatten.
Dass die Bundesgrünen die Notbremse gezogen haben, hat mehrere Gründe. Klar, ein erfundener Sexismus-Skandal ist für jene Partei, die sich Transparenz und Rechtsstaatlichkeit wie keine zweite auf die Fahnen heftet, besonders schmerzhaft, vor allem im Wahlkampf. Dazu kommt aber, dass auch das grüne Zugpferd im Wahlkampf davon belastet werden könnte: Die Person, die statt Gelbhaar zum Zug kommt, ist ausgerechnet Robert Habecks Wahlkampfmanager Andraes Audretsch.
Die schiefe Optik bleibt
Der beteuert ganz klar, mit dem Fall nichts zu tun zu haben. „Ich weiß nicht, welche Frauen Vorwürfe erfunden haben und habe mit dem gesamten Vorgang nichts zu tun“, sagte Audretsch jetzt. Die schiefe Optik bleibt aber, auch wenn Habecks Wahlkampfchef nichts persönlich mit der Sache zu tun hatte. Mitverantwortlich dafür, dass Gelbhaar den Hut nehmen musste, ist auch die Bundespartei.
Auch die Ombudsstelle der Bundespartei prüfte die Vorwürfe, sie soll Gelbhaar dann zum Rückzug gedrängt haben. Und das wohl ohne vorab die Frauen zu kontaktieren: Hätte die Ombudsstelle das getan, wäre ihr …read more
Source:: Kurier.at – Politik