John Irving: „Mit den Tattoos bin ich vorerst durch“

Kultur
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Ringer, kleine Literaturlehrer, unkonventionelle Familien. Fixer Bestandteil eines jeden John-Irving-Romans. Darum geht es – unter anderem – auch in seinem neuen Roman „Königin Esther“. Geschrieben für einen Freund, der ihn lehrte, die Welt mit seinen Augen zu sehen. Denn das, sagt John Irving, sei die wichtigste Voraussetzung für das Schreiben: die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Ein Gespräch über Mitgefühl.

KURIER: Immer, wenn wir miteinander reden, haben Sie ein neues Tattoo. Vor zweieinhalb Jahren war der Pottwal auf Ihrem linken Arm ganz frisch, eine Hommage an Moby Dick. Rechts das Zitat aus Ihrem Roman „Gottes Werk und Teufels Beitrag“: „Gute Nacht, ihr Prinzen von Maine, ihr Könige von Neuengland.“ Haben Sie wieder was Neues?

John Irving: Nein, mit den Tattoos bin ich vorerst durch.

Das Zitat stammt von Wilbur Larch, dem Waisenhaus-Arzt aus „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, zu dem Sie nun nach 40 Jahren wieder zurückgekehrt sind. War das schon länger geplant?

Sie wissen ja, dass ich immer mit dem Ende beginne. Hier ist es: Eine ältere Frau, 76 Jahre alt. Eine in Europa geborene Jüdin, die sich entscheidet, den Staat Israel mitaufzubauen. Esther ist in Jerusalem am Ende ihrer Geschichte. Da, wo auch dieser Roman endet.

Sie waren selbst mehrfach in Jerusalem.

Ja, das erste Mal 1981 und ich habe mir damals unentwegt Notizen gemacht, obwohl ich nicht dachte, dass ich einen Roman darüber schreiben werde. Aber ich hatte eine Vorahnung eines ewigen Konflikts. Nun hatte ich diese starke 76-jährige Protagonistin und ich begann, ihre Geschichte dorthin zurückzuverfolgen, wo meine Leser sie kennenlernen: als jüdisches Waisenkind, dessen Leben schon früh von Antisemitismus geprägt ist.

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Und dieses Waisenkind lebt in jenem Waisenhaus, das Wilbur Larch in Maine leitet.

Ich wusste, wie schwer es in Maine, wo es kaum Juden gibt, für Esther sein würde. Ich wusste, wie schwer es für Larch sein würde, eine Familie zu finden. Plötzlich dachte ich: Moment mal. Esther wurde 1905 in Wien geboren. Wilbur Larch muss also viel jünger sein, als viele Leser oder Kinobesucher ihn in Erinnerung haben. Und schon hatte ich einen Plan für meinen Roman.

Der in mancher Hinsicht an frühere Romane erinnert, in einer aber völlig anders ist …

… ja, er ist mit 550 Seiten wesentlich schmäler. Meine Leser sind ja 1.000 Seiten gewöhnt. Nach heutigen Maßstäben für literarische Fiktion wirkt es wie ein Roman normaler Länge, vielleicht sogar etwas länger. Aber für meine Leser ist es ein kurzer. Das kommt daher, dass ich so viel über den Anfang wusste. Ich wusste natürlich, dass es Anfang des 20. Jahrhunderts viele in Europa geborene Juden gab, die Europa verließen, weil sie den aufkommenden Antisemitismus spürten.

Der Antisemitismus war nie weg und er ist seit dem 7. Oktober wieder stärker geworden. Hat das Ihr Schreiben beeinflusst?

Nein. Dieses Buch gab es schon vor den Ereignissen vom 7. Oktober, die mich zwar getroffen, aber nicht überrascht haben. Wissen Sie, man lernt aus der Geschichte. Die Hamas ist nicht die erste Terrororganisation, die Israel vernichten will. Aber ich schreibe nicht über aktuelle Ereignisse. Und ich bin kein Prophet. Meinen Vietnam-Roman „Owen Meany“ habe ich 1989 …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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