
„Die magische Anziehungskraft des Lederballes ist nicht erloschen.“ Ein Satz, abgedruckt anlässlich der WM-Auslosungsshow einem US-Medium? Möglich. Getroffen wurde diese Feststellung auf jeden Fall schon vor genau 80 Jahren im von „amerikanischen Streitkräften für die Wiener Bevölkerung herausgegebenen“ KURIER. Als Österreich am Nikolo-Tag 1945 das erste Ländermatch nach Kriegsende gegen Frankreich 4:1 gewann.
55.000 Menschen (um 7.000 mehr als kürzlich beim ausverkauften WM-Qualifikationsfinale gegen Bosnien) füllten das bombenbeschädigte Praterstadion. Unterernährt und am nasskalten 6. Dezember unfreiwillig leicht bekleidet. „Uns hatte nur der Fußmarsch aufgewärmt“, erzählte mir zig Jahre später mein erster Journalisten-Chef Hans Wimmer vom Neuen Österreich.
Kaum eine Tramway fuhr. Autoverkehr zum Prater ließen Bombentrichter nicht zu.
Während andere Länder Österreich im Sport boykottierten, nahmen die Franzosen eine zwischenzeitlich immer wieder gestoppte Anreise in Kauf. Auch Ehrengast Jules Rimet, nach dem der WM-Pokal benannt wurde, kam allen Widrigkeiten zum Trotz ins verwüstete Wien.
Vor Spielbeginn salutierten die Generäle aller vier Besatzungsmächte beim Abspielen der französischen, englischen, amerikanischen und russischen Hymne. Erst dann durfte in Anwesenheit des später als Staatsvertragsüberbringer legendär gewordenen Leopold Figl „Oh du mein Österreich“ gespielt werden.
Endlich warme Mahlzeiten beim Bankett
Auf dem Spielfeld aber gaben, angeführt von Kapitän Bimbo Binder (Rapid), trotz anfänglich überlegener Franzosen letztlich die Österreicher den Ton an. Allen voran Karl Decker von Vienna, der drei Tore schoss und über den anderntags im KURIER Nummer 88, Jahrgang 1, zu lesen war: „Decker dürfte in der gestern gezeigten Form kaum einen ebenbürtigen Rivalen auf dem Kontinent haben.“ Auf der nächsten Seite hieß es, dass ab sofort in Wien das Wasser ungekocht getrunken werden kann.
Beim Bankett, an dem die Spieler teilnehmen durften, soll auch so manch Achterl Wein geleert worden sein. Abgesehen davor empfand man den Empfang wie vorverlegte Weihnachten, hatte es doch monatelang kaum warme Mahlzeiten gegeben. Sobald angepfiffen wurde aber, ist trotz leerer Mägen voll attackiert worden. Auch außerhalb des Feldes.
Während des Viererturniers mit Rapid, Vienna, Admira und Wacker kam es zu Feiertagen zu derartigen Radauszenen, dass sich der Wiener Verband in der ersten Jännerwoche 1946 zur Auflösung des Schiedsrichter-Kollegiums gezwungen sah.
Obwohl man meinen müsste, dass damals ganz andere Sorgen plagten.
Source:: Kurier.at – Sport



