Man verjagte Sigmund Freud aus Wien und wollte doch sein Porträt

Kultur
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Am 12. März 1938 marschierte die Wehrmacht ein. Sigmund Freud hatte die Entwicklung in Deutschland seit der Machtübergabe an Hitler im Jänner 1933 genau beobachtet. Bei der Bücherverbrennung im Mai jenes Jahres waren auch seine Schriften ins Feuer geworfen worden.

So fand bereits am 13. März 1938 in der Berggasse 19 in Wien eine Vorstandssitzung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung statt. Den Mitgliedern war bewusst, was folgen würde. Denn sie waren zum überwiegenden Teil Juden. Man fasste den Beschluss, ehestmöglich Österreich zu verlassen.

Anna Freud unterrichtete den bald 82-jährigen Vater von der kollektiven Flucht, die von London aus orchestriert wurde. Bis zum Frühjahr 1939 konnten alle bedrohten Psychoanalytiker, 38 an der Zahl, die Stadt verlassen. Darüber informierte 2025 die Schau „Organisierte Flucht – Weiterleben im Exil“ des Sigmund Freud Museums.

Auch Freud gelang die Flucht – am 4. Juni 1938 nach London: Um 14.30 Uhr fuhr der herz- wie krebskranke Psychoanalytiker zusammen mit seiner Frau Martha, Anna, 20 Koffern und dem Chow-Chow Lün mit zwei Taxis von der Berggasse 19 zum Westbahnhof. Der Orient Express fuhr um 15.14 Uhr ab, um 3.45 Uhr passierte er die deutsch-französische Grenze. Von Paris ging es mit der Night Ferry weiter. Am 6. Juni um 9.10 Uhr kamen die Freuds in der Victoria Station an.

Sich „nazifrei“ fühlen

In Wien zurückgelassen hatten sie das Mobiliar. Das beauftragte Speditions-Bureau E. Bäuml fertigte penibel eine Liste an. Ob das Hab und Gut aber je abtransportiert würde? Im Juli 1938 schrieb Freud seinem Bruder Alexander, dem die Flucht in die Schweiz geglückt war, dass er sich erst, wenn die Sachen eingetroffen seien, „nazifrei“ fühlen könne. Er musste lange warten: Am 8. August 1939 wurden die Möbel, Bücher, Antiken und der Hausrat – 7.730 Kilogramm in drei Waggons – zugestellt. Das neue Haus der Freuds in Maresfield Gardens glich alsbald der Wohnung in Wien derart, dass es fortan als „Berggasse“ bezeichnet wurde.

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In der neuen Ausstellung des Freud Museums wird die Geschichte der Flucht unter dem Titel „Der Fall Freud. Dokumente des Unrechts“ (bis 9. November 2026) nochmals rekapituliert. Denn das Museum hatte ein bisher unbekanntes Konvolut mit Hunderten Akten und Briefen aus dem Nachlass des vom NS-Regime eingesetzten „kommissarischen Verwalters“ des Internationalen Psychoanalytischen Verlags erworben. Und in diesem befindet sich die 14-seitige Liste der Spedition mit der gesamten Einrichtung der Berggasse 19.

Oliver Ottenschläger

Sessel in der Berggasse 19

Die berühmte Couch wird darin als „Ottomane“ bezeichnet. Sie befindet sich noch heute in London – wie auch alles Übrige: In der ehemaligen Wohnung samt Praxis in Wien gibt es so gut wie nichts an Memorabilia. Aber für die Ausstellung erhielten Monika Pessler, die Direktorin, und ihre Kuratorin Daniela Finzi mehrere Objekte als Leihgabe. Zum Beispiel den gediegenen Schreibtischsessel mit Korbgeflecht: Er steht vor einem riesig aufgeblasenen Schwarz-Foto von einst, auf dem er gut erkennbar ist. Ausgestellt sind auch drei Antiken, darunter ein chinesischer Hund aus Ton, sowie drei Gegenstände aus der Abteilung „Porzellan und Glasgegenstände“: eine Presse für Zitronenscheiben, ein Serviettenständer und ein „Jam-Glas“. Bei diesem zylindrischen Gefäß aus Silber mit hölzernem Deckel wird man allerdings stutzig: …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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