Richard David Precht: „Wir ertragen andere Meinungen immer schwerer“

Wirtschaft
Richard David PrechtChristian O. Bruch /Laif

Richard David Precht ist Philosoph, Publizist und Autor, moderiert die Philosophiesendung „Precht“ im ZDF und diskutiert zusammen mit Markus Lanz in einem wöchentlichen Podcast über gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Für Aufsehen sorgte er u. a. mit der

Artikel 13 im österreichischen Staatsgrundgesetz besagt: Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Insgesamt ist die Meinungsfreiheit hierzulande sogar doppelt abgesichert. In der nationalen Verfassung und in der Europäischen Menschenrechtskonvention, Artikel zehn. Dennoch ist der deutsche Philosoph und Autor Richard David Precht überzeugt: Die Meinungsfreiheit schwindet. Die Gesellschaft gerät zunehmend in einen Angststillstand, der jegliche Weiterentwicklung unmöglich macht.

KURIER: Sie sehen die Meinungsfreiheit in Deutschland aber auch Österreich schwinden. Was befeuert diese Entwicklung?

Richard David Precht: Sagt jemand, dass sich die Meinungsfreiheit in einem Land verringert, würde man normalerweise erwarten, dass das von der Regierung ausgeht – durch massive Verschärfungen der Gesetze oder Repressalien. Das ist bei uns ja sehr weitgehend nicht der Fall. Das, was schwindet, ist die Meinungstoleranz. Wir ertragen andere Meinungen immer schwerer. Und diejenigen, die, was Moral anbelangt, die Deutungshoheit haben, reagieren immer allergischer darauf, wenn Meinungen kommen, die ihnen so gar nicht in den Kram passen. Dadurch erleben wir eine Verengung des Meinungskorridors.

Und das lässt sich belegen? 

Wenn bei der Allensbach-Umfrage, die fast seit Gründung der Bundesrepublik jedes Jahr gemacht wird, nur noch 40 Prozent (bezieht sich auf Daten aus 2023, 2025 waren es 46 Prozent, Anm.) der Befragten sagen, dass man in Deutschland frei seine Meinung äußern kann, ist das ein alarmierender Wert. (Der Wert bewegte sich bis zu den 1990ern meist zwischen 70 und 80 Prozent und befand sich seitdem im Sinkflug, Anm.) Das ist für eine liberale Demokratie ein erschreckendes Ergebnis.

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Das ist aber nur ein Gefühl der Menschen, nicht automatisch eine Tatsache. 

Man ist immer so meinungsfrei, wie man sich fühlt. Meinungsfreiheit kann man nicht allein an der Gesetzeslage ablesen. Ganz viele Meinungsäußerungen sind völlig legal, aber man sollte sich trotzdem überlegen, ob man diese im öffentlichen Raum vertritt. Da liegt ja das Problem. Nicht darin, dass man wie in Autokratien dafür eine Strafe bekommt oder ins Gefängnis wandert. Diese Wahrscheinlichkeit ist gering. Aber dass man aneckt mit seiner Meinung, das geht heute viel leichter. Ich selbst bin 61 Jahre alt. Ich weiß ziemlich gut, dass das früher einmal anders war.

Meinung ist nicht gleich Meinung. Wo ziehen Sie persönlich die Grenze? 

Wir haben die Grenze gut geregelt: Da, wo ich eine Äußerung tätige, die eine starke Beleidigung darstellt, da, wo ich jemanden verunglimpfe, Falsches unterstelle, dort, wo ich zur Gewalt aufrufe und dort, wo ich Volksverhetzung betreibe. Alles das sind in Deutschland Straftatbestände. Das Strafrecht zieht die Grenze, wo eine Meinung nicht mehr tolerierbar ist. Das reicht ja eigentlich aus.

Tut es das wirklich? 

Darüber hinaus gibt es auch Normen. Wenn jemand die Situation in Israel oder Gaza sehr anders beurteilt als die etablierten Medien das tun, eckt der bei uns ganz stark an. Mir geht es nicht darum, die eine oder andere Meinung zu verteidigen. Aber es muss grundsätzlich möglich sein, in einer liberalen Demokratie unterschiedliche Meinungen zu haben.

Meinungsfreiheit beginnt nicht bei der strafrechtlichen Verfolgung. Sondern in dem Moment, wo die sozialen Kosten hoch werden.

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Source:: Kurier.at – Wirtschaft

      

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