
Der deutsche Journalist Ulf Poschardt geht mit der Kettensäge durch die jüngere Geschichte und vor allem die Gegenwart seines Landes.
Ja, Ulf Poschardt ist ein brillanter Polemiker (Betonung auf brillant und Polemik gleichermaßen); ja, stilistische Eitelkeit ist ihm nicht fremd. Aber man muss schon sagen: der langjährige Chefredakteur und nunmehrige Herausgeber der Welt trifft mit seinen Kommentaren und Leitartikeln einen Nerv: Wie nur wenige andere im deutschsprachigen Raum rechnet er gnadenlos mit Wokeismus, Cancel Culture und dergleichen mehr ab. Und dies ohne den leistesten Verdacht irgendeiner Sympathie zur AfD & Co.
Nun hat er seine Analyse zur gegenwärtigen Signatur Deutschlands und Europas in Buchform vorgelegt – und die Genese des Buches ist gewissermaßen Bestätigung seiner Thesen in a nutshell: Denn der ursprünglich vorgesehene Verlag (Klampen) bekam offenbar kalte Füße und zog die Zusage zur Veröffentlichung zurück. Poschardt hätte seinen Text entschärfen sollen, wozu dieser freilich nicht bereit war – stattdessen brachte er das Buch im Eigenverlag heraus.
„Ignorant, weltfremd“
„Shitbürgertum“ heißt das Elaborat, und der Titel lässt bereits vermuten, dass es hier nicht um den Austausch von Freundlichkeiten geht. Was dieses Shitbürgertum ist? Wohl etwa das, was gelegentlich kritisch als „juste milieu“ bezeichnet wird. In einer der Definitionen Poschardts liest sich das dann so: „Ökonomisch weitgehend ignorant, politisch heiter weltfremd, aber stets im Gestus geliehener Autorität, der Mehrheit der Gesellschaft den Weg weisen wollend“.
Der Autor ist sich der Radikalität seiner Wortwahl und seiner Formulierungen durchaus bewusst, aber er ist der Meinung, dass sein Land – und beim wichtigsten Land der EU darf und muss man wohl Europa immer mitdenken – nur mehr mit der „Kettensäge“ zu retten ist, die Argentiniens libertärer Präsident Javier Milei symbolisch in den politischen Diskurs gebracht hat.
Poschardts Analyse geht freilich weiter zurück: Hart geht er etwa mit Ikonen der linken Intelligenzija wie Günter Grass und Walter Jens ins Gericht: Leitfiguren der „Moralbewirtschaftung“, die, „am Lebensabend mit ihren Lebenslügen konfrontiert“, „sich selbst die Unbedenklichkeitserklärung“ ausstellten.
Der Publizist spannt einen großen Bogen über die jüngere deutsche Geschichte bis in die Gegenwart. Der Geist des „Shitbürgertums“ lebt seiner Wahrnehmung nach heute insbesondere „an den Universitäten, in Teilen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den möchtegernliberalen Printmedien, auf Kirchentagen, in der staatlich subventionierten Kunst und Kultur“.
Kampf gegen Rechts
Die harmlosere Variante des Shitbürgertums heißt bei Poschardt „Lauchbourgeoisie“. Deren Vertreter sind die Claqueure der „Shitbürger“, ohne deren Agenda selbst voranzutreiben. Diese Agenda kulminiert in letzter Konsequenz, wie in Deutschland bereits Realität, in „Meldestellen und Denunziationshotlines“, alles unter dem Mantel des Kampfes gegen Rechts bzw. gegen Hass und Hetze.
Ein nicht unbedeutender Nebenaspekt: „dass als verlorenes Korrektiv ein klassischer Konservatismus verklärt wird, der einst vom selben (linken; Anm.) Milieu in Gestalt von Reagan, Thatcher, Bush senior, Kohl und Strauß […] kategorisch bekämpft wurde“.
Man kennt das auch aus österreichischen einschlägigen Debatten, wenn seitens der üblichen Unverdächtigen geklagt wird, wie wichtig doch eine „konservative Partei“ wäre und wie sehr man die „gute alte christlichsoziale ÖVP“ vermisse.
ulfposhbooks
Ulf Poschardt: „Shitbürgertum“, Ulfposhbooks, 164 Seiten, 22,70 Euro
Source:: Kurier.at – Kultur