Abrissparty für die Volksoper: So ist Stephen Sondheims „Follies“

Kultur

Die eine hat Rücken, wie das im Kuraufenthaltssprech so schön heißt.

Die andere hat’s in den Gelenken. Die dritte gar Gebärmuttersenkung!

Alle zusammen aber machen diese ehemaligen Showgirls eine Bühnenparty, für die man nicht nur bei den „Dancing Stars“ die Höchstwertung kriegen würde: Sie steppen und tanzen und singen und feiern mit Spaß an der Freude die Wehwehchen und Problemchen der angesammelten Jahre weg. Das Vor-Finale der ersten Halbzeit ist der Höhepunkt der neuen Volksopernproduktion von Stephen Sondheims „Follies“, ein Fest jener besonderen Schönheit, die man mit den Jahrzehnten aufbaut; getoppt von einem eingesprungenen Spagat – und viel Szenenapplaus.

Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Dann singt noch Sona MacDonald „Bin noch hier“, eine Hymne darauf, sich vom Unbill, den man ebenfalls mit den Jahrzehnten ansammelt, nicht unterkriegen zu lassen.

Und in diesen Minuten ist die „Follies“-Inszenierung genau dort, wo sie sein soll: Mitten in jener Schönheit, jener Würde und dem Potenzial zur Rührseligkeit, das, wie längst auch Hollywood entdeckt hat, in gelungenen Geschichten über nicht mehr ganz junge Menschen steckt. Alleine für diese zwei Szenen lohnt es sich, „Follies“ anzuschauen.

Rundherum macht Regisseur Martin G. Berger mit dem etwas papierenen Material, was möglich ist. Das 1971 uraufgeführte Musical dreht sich um ehemalige Showgirls und ihren männlichen Anhang, die sich dreißig Jahre nach ihrer großen Zeit noch einmal treffen und alte Zeiten, hier passt die Redewendung, Revue passieren lassen. Es ist dazu die letzte Gelegenheit: Ihr altes Theater wird nämlich abgerissen.

Abrissgala 2055

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Dass Berger hier die Volksoper – und viel Österreichisches – in die Handlung holt, ist witzig: Sally (Ruth Brauer-Kvam), Phyllis (Bettina Mönch), Buddy (Peter Lesiak) und Ben (Drew Sarich) waren einst unter Lotte de Beer an der Volksoper – und treffen sich zur Abrissparty des Hauses in düsteren Zeiten 2055 (nur ganz kurz denkt man darüber nach, dass man über derartige Szenarien lieber gar nicht nachdenken würde). An diesem Ort der Erinnerung treffen sie ihre jungen Ichs – und die Träume von damals kollidieren mit der Realität eines gelebten Lebens.

Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Das Ding an dem Ganzen ist, dass die Konflikte, die bei diesem Klassentreffen aufbrechen, dermaßen standardisiert sind, dass es mit der Solidarisierung ein wenig ruckelt. Sally liebte Ben, der aber in einem impulsiven Moment Phyllis wählte – woraufhin Sally in ihrem Leben mit Buddy begrenzt happy wurde. Phyllis und Ben aber eh auch nicht. „Follies“ behandelt die Schmerzenspunkte dieser Konstellation, alle sind im Jetzt unglücklich und wähnen, im Damals glücklich gewesen zu sein. Und man fragt sich zwischen Solosongs und ein bisserl gar überdimensionalen Videos, zwischen eingewobenen Revue-Tänzen und allerlei Liebesgeständnissen schon, wo genau hier eigentlich genug Leid für 30 Jahre Unglück entstand.

Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Das aber ist ein Problem des Stücks, nicht der Produktion: Die arbeitet mit Einfallsreichtum und einem starken Ensemble (zu nennen wären alle, speziell Juliette Khalil, Oliver Liebl, und, nicht nur für den Spagat, Stefanie Dietrich) für einen flotten Abend, auch wenn einige Soloszenen eine gewisse Erdschwere nicht abschütteln können. Die Stimmen setzen, zum Glück, oft mehr auf Emotion als auf die glatte Perfektion des Musicals, hörenswert das …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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