Stefan Bachmann brachte seine erste Inszenierung als Direktor der Burg heraus: Die Uraufführung „Manhattan Project“ nimmt gefangen
Toto wird als Bub aufgezogen und schließlich zur Frau. Orlando, der heiß begehrte Jüngling, wacht eines Morgens als solche auf. Der eingebildete Kranke wird von einer Frau gespielt, dessen Tochter von einem Mann. Stefan Bachmann, der neue Direktor der Burg, ließ in den letzten zwei Monaten mehrfach die Geschlechterfrage thematisieren. Und dann gab es noch – als Übernahme aus Köln (wie der Molière) – den Aufstieg und Fall des Managers Johann Holtrop, bestritten von acht Schauspielerinnen. Nun, am Donnerstagabend, folgte das Gegenstück: Bachmann brachte im Akademietheater als seine erste Arbeit für Wien „Manhattan Project“ von Stefano Massini zur Uraufführung – mit einem reinen Männerensemble.
Was allerdings noch keine Kunst ist. Denn Frauen spielen in der Geschichte um die Entwicklung der Atombombe während des Zweiten Weltkriegs eine marginale Rolle. Und doch vermochte Bachmann zu beeindrucken. Denn er lässt das sehr poetische, zwischendurch auch humorvolle Stück des italienischen Dramatikers, 1975 in Florenz geboren, an der Rampe spielen. Er drängt es dem Publikum geradezu auf: Man starrt unablässig (knapp drei Stunden inklusive Pause) in das Auge des Taifuns.
Vorgänger Martin Kusej hatte im September 2019 mit einer gewaltigen Bühnenbildmaschine von Ulrich Rasche (für „Die Backchen“) begonnen. Und auch Olaf Altmann setzt auf eine wirkmächtige Installation als One-Trick-Pony: Er konstruierte eine Art monströses Hamsterrad, in Viertel geteilt, das man auch als Ventilator lesen könnte. Und gefangen in dieser vergitterten, sich immer wieder bedächtig drehenden Schleuder sind die Protagonisten.
Stefano Massini, dessen Stück „Lehman Brothers“ Bachmann 2015 inszenierte, erzählt die Geschichte pointiert anders als der mit mehreren Oscars bedachte Film „Oppenheimer“: Im Mittelpunkt stehen zunächst die vier ungarischen Juden, die sich – als „Laborphysiker“ – theoretisch mit der Kernspaltung beschäftigen. Zu einem Quartett geformt werden sie, vor der Nationalsozialisten emigriert, in den USA. Denn die Sorge ist groß, dass die Deutschen rund um den „Anstreicher“ Hitler bei der Entwicklung die Nase vorne haben, über genügend Uran aus dem Kongo verfügen und gar eine Waffe daraus bauen könnten.
Nach und nach füllt sich dieses geviertelte Rad mit den Wissenschaftlern. Und im gemeinsamen Erzählen ergeben sich Dialoge. Thiemo Strutzenberger demonstriert leise die Zerbrechlichkeit des labilen Leó Szilárd, Felix Rech als Jenö Wigner ist weit weniger von Zweifeln geplagt. Der Paul Erdös des Justus Maier strotzt herumhampelnd vor ADHS-Energie, das Quartett komplettiert Markus Meyer als besonnener Ed Teller. Spielerisch, auch artistisch, setzen sie in ihren Tortenstücken die Schritte, um bei den Rotationen nicht herumzukugeln. Spielbälle sind sie trotzdem, zwischendurch in Ecken oder kopfüber hängend.
Bachmann formiert die Vier, ergänzt um drei weitere Schauspieler (in mehreren Rollen), immer wieder neu, Bernd Purkrabek steuert harte Lichtstimmungen wie gespenstische Schattenbilder bei. Und dann verdichten sich alle, von Barbara Drosihn mit Dreiteilern und Hüten stilecht eingekleidet, zu einem Chor der griechischen Tragödie: Was, wenn die freigesetzte Energie weit größer sein sollte?
Tommy Hetzel
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Source:: Kurier.at – Kultur