
Gott, ist das peinlich!
Aus genau diesem Gefühl schöpfte ein TV-Format seinen Erfolg: Ab Mitte der 1990er wurden Talkshows der Hit im deutschsprachigen Nachmittagsfernsehen.
Die Ausgangslage für die „Daily Talks“ war ja durchaus günstig: Die Sendungen sind billig zu produzieren und füllen viel Zeit. Und sie fesselten jedenfalls anfangs die Menschen mit dem Gefühl, dass man hier hinter die Kulissen einer Öffentlichkeit ins Private der Menschen hineinschauen konnte, so klein und schräg das oft auch war. Es erzählten Bodybuilder von ihren Unterarmmuskeln, Zwillinge von ihrem Leben, es schilderten Sexworker ihren Alltag, Nachbarn ihre Streitigkeiten, Paare ihre Konflikte.
Vor allem aber bekamen hier Menschen erstmals im Medienzeitalter eine Bühne, die sie zuvor nicht hatten: In den Anfangsjahrzehnten des Fernsehens spielten „normale“ Menschen nur eine kleine Rolle. Das änderte sich, als die neu erblühenden Privatsender auf Quotenjagd gingen: Die Mischung aus Anschlussfähigkeit und Eigenartigkeit derjenigen, die sich in eine derartige Talkshow setzten, hatte man zuvor nicht gesehen.
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Auch Arabella Kiesbauer („Arabella“) war Teil der goldenen Talk-Ära
Arabella
Eine der Vorreiterinnen des aus den USA („Oprah“) übernommenen Genres war eine Österreicherin: Arabella Kiesbauers quirlige Art machte ihre Talkshow (1994–2004) bei ProSieben zu einem frühen Erfolg – mit allen Elementen, die man dafür so braucht. „Wie bei anderen Nachmittagstalkshows kamen die Themen meist aus den Niederungen menschlichen Zusammenlebens, nicht selten fanden in der Sendung laute Wortgefechte zwischen den Gästen statt“, heißt es dazu recht trocken auf Wikipedia. Sie war damit nicht allein: Damals gab es eine wahre Schwemme an Talkshows. Bärbel Schäfer und Hans Meiser (RTL), Andreas Türck (ProSieben), Birte Karalus (RTL) und viele weitere fischten im selben Teich: Sie bewirtschafteten das, was man heute wohl Triggerpunkte nennen würde. „Natürlich gingen wir an die Grenzen“, sagte Kiesbauer einmal, denn das war das Konzept dieser Shows, themenmäßig nicht selten unter der Gürtellinie angesiedelt: „Frauen beraten Nieten im Bett“, „Männer sind schwanzgesteuert“, oder „Sein kleiner Freund, wie groß muss er sein?“
Der ORF kleidete dieses Format ab 1999 in öffentlich-rechtliche Umstände, zu einem Zeitpunkt, als die erste Welle der Talkshows bereits wieder vorbei war: Viele der Ur-Talker hörten Anfang der Nullerjahre auf – unter anderem, weil Reality Soaps billiger zu produzieren waren.
Barbara Karlich aber hob da erst an – und so richtig ab. Ihre Show wurde zur Rekordhalterin im deutschsprachigen Raum, kein anderer Talk existiert so lange. Mehr als 4.500 Sendungen wurden produziert, seit 2024 unter dem Namen „Barbara Karlich – Talk um 4“ und ohne Studiopublikum. Weiterhin zugegen sind allerdings je nach Thema unterschiedliche Expertinnen und Experten in die Sendung eingeladen: Gesundheitspsychologen oder – besonders wichtig – Lebens- und Sozialberater.
Unpolitisch?
„Bei uns wird alles besprochen, außer Politik“, sagte Karlich im Vorjahr angesichts des 25-Jahr-Jubiläums zum KURIER: „Wenn es politisch wird, dann überschreitet das eine Grenze. Und an diese Grenze müssen sich alle Talk-Gäste auch halten. Ansonsten gibt es kaum Tabus: Neben herkömmlichen Themen, die das Leben betreffen, wie Liebe, Job, Wünsche, Träume, Gesundheit, Familie, reden wir auch über Transgeschlechtlichkeit und Homosexualität. Wir haben Themen enttabuisiert.“
Dass die Grenze zum Politischen dabei schwer zu ziehen ist, zeigte …read more
Source:: Kurier.at – Kultur