
In 67 Dienstjahren hat die Wiener Stadthalle alle Größen der Rock- und Pop-Szene beherbergt. Aber dass bei so einem Konzert ein Massenpublikum ein inbrünstiges „Amen“ in den Äther schreit, hat sie in all den Jahren wohl noch nicht erlebt.
Möglich machte das Maurice Ernst, der Frontmann von Bilderbuch, als die Band dort Donnerstagabend ihr 20-jähriges Bandbestehen und das Erscheinen ihres Sensationsalbums „Schick Schock“ vor zehn Jahren feiert.
APA/FLORIAN WIESER / FLORIAN WIESER
Losgelegt hatte das Quartett mit den sirenenartigen Intro und dem wuchtigen Rock von „Softpower“, dem Titelsong ihrer jüngsten EP. Zusammen mit Videos von in die Höhe schießenden Flammenwerfern auf der mächtigen LED Wand hinter der Bühne, war das ein beeindruckender Start. Aber mit den Worten, mit denen Ernst danach das Publikum „begrüßte“, wurde einmal mehr klar, dass diese Band fernab von gängigen Sound- und Präsentations-Konventionen agiert: „Wien, wenn du mich haben willst, lass mich dein heiliger Vater sein. Gib mir ein Amen!“
10.000 Fans gaben es ihm, wollten ihn und genau diesen überdrehten, exaltierten Habitus, den Ernst sich von Falco abgeschaut und zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Dass Bilderbuch nicht nur großspurig tun, sondern tatsächlich eine tolle Live-Band sind, zeigen sie für den Rest des weit mehr als zweistündigen Konzerts.
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Da wird nach dem „Amen“ aus dem Publikum erst einmal mit den anderen Songs der „Softpower“-EP weiter gerockt mit – mit mitreißendem Drive, der aus der Vitalität, mit der sie sich ins Musikzieren stürzen, genauso entsteht, wie aus der Verstärkung durch den versierten Jazzmusiker Lukas König, der ein zweites Schlagzeug spielt.
Schnell wird aber auch klar: Der Sound ist zu laut und stellenweise so dröhnend, dass man gewisse Feinheiten nicht mehr hören kann. Trotzdem können Bilderbuch die Stimmung stetig steigern. Bald steigt König für funkigere und poppigere Songs wie „Bungalow“ oder „Kitsch“ auf die Keyboards um.
Zwischendurch postuliert Ernst: „Heute bin ich Rihanna!“ Vor einigen Jahren hat er sie nämlich hier live gesehen und davon geträumt, auch einmal auf der Bühne der Stadthalle zu stehen. Er bedankt sich beim Publikum, dass es die vielen stilistischen Schlenker und musikalischen Extravaganzen, die „Verrücktheiten“, die sich Bilderbuch seit 20 Jahren leisten, mitgetragen hat.
Was er damit meint, zeigt danach „Aber Airbags“, das als Synthiepop beginnt, sich in der Intensität immer mehr steigert, in furiosen Rock übergeht und mit rabiaten Improvisationen und Feedback-Orgien auf eine Viertelstunde ausgedehnt wird. Aber so, dass nichts davon langweilig wird. In diese Euphorie hinein knallen Bilderbuch dann noch ihren größten Hit „Maschin“ – ein cleverer Schachzug mit perfekter Wirkung.
Obwohl die Band dann weitere Register zieht, mit „Ab und Auf“ eine sanfte, an Prince erinnernde Ballade einbaut, Gitarrist Michael Krammer eine zwölfsaitige E-Gitarre auspackt und mit „Baba“ und „Checkpoint“ weitere Hits kommen, fällt die Stimmung ein wenig ab. Vielleicht auch deshalb, weil Ernst dann davon redet, dass er die Farbe Beige hasst, weil die das neue Braun ist. Dieser politisch gemeinte Kommentar kommt etwas schräg rüber, weil Ernsts arroganter Selbstinszenierung dabei der übliche Hauch von Selbstironie fehlt.
Weil das aber ein Wien-Konzert ist und Wien die geliebte Heimatstadt der Band, gibt es hier Extra-Zugaben. Insgesamt sechs, teils mit Improvisationen ausladend ausgeführte Songs, die noch einmal die stilistische Bandbreite, aber …read more
Source:: Kurier.at – Kultur