Barbara Frey inszenierte einen humorlosen Molière in Zeitlupe. Der Abend ist dank großartiger Schauspieler dennoch interessant
Es regnet. Und regnet. Und regnet. Unablässig läuft das Wasser über die Glasfassade (Bühne: Martin Zehetgruber) des Orgonschen Hauses. Das ist ermüdend. Man versteht eh: Dieser „Tartuffe“ steht im Regen.
Das Interessante an dieser Inszenierung (Regie: Barbara Frey) von Molières berühmter Komödie „Tartuffe“ ist: Frey lässt keine Komödie, sondern eine Tragödie spielen. Und sie hat sich für die Figur des Tartuffe offenbar nicht sonderlich interessiert.
APA/BURGTHEATER/TOMMY HETZEL
Die famose Bibiana Beglau – wer könnte ihren Mephisto in Martin Kušejs legendärem „Faust“ vergessen? – ist in dieser Inszenierung fast an den Rand gedrängt. Sie spielt Tartuffe als bleiches, kaltes, gefährliches Gespenst. Warum er solche Verführungskraft ausübt, bleibt unklar. Ebenso, warum Tartuffe in der Lage ist, sexuelle Begierde in Bezug auf Orgons Frau zu entwickeln.
Familienaufstellung
Frey Inszenierung ist eine Art Familienaufstellung – es geht um die komplizierten Verhältnisse einer Gruppe von Menschen, die das Leben gezwungen hat, einander auszuhalten. Die Zeichnung dieser Figuren gelingt Frey ausgezeichnet.
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Gleichzeitig versucht sie aber – wie viele Regisseure versuchen das noch? – eine Komödie als Tragödie zu enttarnen. Selten hat man so einen humorlosen „Tartuffe“ gesehen (ein paar Lacher gibt es dennoch), und noch nie einen in Superzeitlupe gespielten.
Die Geschichte – Tartuffe schleicht sich in Orgons Herz und Haus, Orgons Familie kämpft dagegen an – entfaltet sich gemächlich.
Verliebt
Im Zentrum dieser Inszenierung steht Orgon, den Michael Maertens einfach fantastisch spielt. Man glaubt ihm, dass er sich in Tartuffe beinahe verliebt hat. Dass die beiden einen langen Kuss tauschen müssen, wirkt allerdings banal.
Fast hat es den Eindruck, Maertens spiele gegen die Inszenierung: Sein Orgon ist bei aller Tragik eine hoch komische Figur.
Ebenfalls komisch, wenn auch leiser: Maria Happel als Orgons Frau. Wie sie Tartuffe als Heuchler überführt, ist eine der besten Szenen des Abends.
Großartig ist Katharina Lorenz als wie der Adams Family entsprungenes Hausmädchen Dorine. Diese Figur ist abgründig und merkwürdig, man würde gerne mehr von ihr und über sie erfahren.
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Ebenfalls sehr gut sind Ines Marie Westernströer als Orgons Tochter, Barbara Petritsch als dessen Mutter und Justus Maier als sein Sohn.
Die großartige Sarah Viktoria Frick spielt Orgons künftigen Schwiegersohn als ungeschickten Tölpel und den Gerichtsvollzieher als über seine eigene Macht zum Lachen verführten Beamten. Beide Darstellungen sind wunderbar, allerdings verwirrt die Doppelrolle – die beiden Personen sehen einander zu ähnlich.
Hinreißend ist Markus Scheumann als in seinem ausufernden Körper gefangener Schwager.
Hinterteile!
An dieser Stelle sei ein Einschub gestattet: Zwei Stunden und 20 Minuten Theater ohne Pause sind ein drastischer Verstoß gegen die Menschenrechte und sollten streng geahndet werden. Menschen haben Blasen, die sich füllen, und Hinterteile, die zu schmerzen beginnen!
Am Ende gab es freundlichen, aber nicht gerade frenetischen Applaus für eine hoch interessante, aber unterm Strich zu langsame und unkomische Komödien-Inszenierung.
KURIER-Wertung. 3 von 5 Sternen
Source:: Kurier.at – Kultur