Der neue Claudio Magris: unglaublich, aber wahr

Kultur

Claudio Magris erzählt die Geschichten dreier Idealisten, die einst Europa verließen, um eine bessere Welt zu finden

Er war ein „bedächtiger Gewohnheitsmensch“, Bürger des untergehenden Habsburgerreichs, der zu einer „ganz und gar österreichischen Pedanterie“ neigte . Mit 25 Jahren schiffte sich der slowenische Ethnologe Janez (auch: Ivan, Janko, Juan) Benigar unter dem Status „Arbeiter, Katholik und Junggeselle“ in Triest ein, reiste nach Argentinien und kehrte nie mehr zurück.

Die Behörden sollten nicht wissen, dass er kein Arbeiter, sondern ein Gelehrter war, der sich mit Linguistik, Ethnologie und Anthropologie auskannte. Lange Zeit lebte er in Wigwams. Diese Zelte waren später eine gute Voraussetzung für ein kleines, aber einträgliches Dasein in der Textilbranche im eigenen Familienbetrieb. Er heiratete Eufemia Barraza, eine Indigene, die ihm 12 Kinder gebar. Nach ihrem Tod heiratete er erneut eine Indigene, Rosario Peña, mit der er weitere vier Kinder bekam. Er wollte, schrieb Benigar in seinem Testament, neben beiden begraben sein, hatte er doch beide, ebenso wie seine neue Heimat, geliebt.

Claudio Magris, 1939 in Triest geborener Schriftsteller, Germanist und ausgewiesener Experte des Habsburgerreichs, beschreibt in seinem neuen Buch „Kreuz des Südens“ die unglaublichen, aber tatsächlich gelebten Leben dreier Menschen, die um die Jahrhundertwende nach Südamerika auswanderten.

Janez Benigar fragte sich kurz vor seinem Tod 1950, ob das Heimatland eines Menschen, also der Ort, an dem man sich zu Hause fühlt, das Land ist, in dem die eigenen Kinder leben, oder das, in dem die Eltern begraben sind. Fragen, die sich womöglich auch der französische Anwalt Orélie-Antoine de Tounens stellte, der sich 1860 zum König von Araukanien im Süden Chiles ausrufen ließ und einen Unabhängigkeitskampf der Indigenen initiierte. Oder Schwester Angela Vallese aus dem Piemont, die ihr Leben für die Ureinwohner Feuerlands opferte.

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Als Schriftsteller erzählt Magris in diesem dichten, streckenweise sehr wissenschaftlichen Text die Geschichten mehr oder weniger unbekannter Helden, die ein fremdes Land als ihre Heimat betrachteten, möglicherweise aber auch mit zwei Identitäten lebten. Diese Auswandererschicksale sind auch politisch aktuell, denn zu einem Zeitpunkt, wo sich Europa nun neu erfindet, geht Magris als Historiker auch der damaligen Motivation der hunderttausenden europäischen Emigranten nach. Die Neue Welt war ein Glücksversprechen, gewiss, zugleich aber auch bereits damals „Bühne für populistische Bewegungen“.

Als Literaturwissenschafter schreibt Magris von der Schilderung dieser Leben, von Edoardo De Amicis über Jorge Luis Borges bis Bruce Chatwin. Auch Charles Darwin, der 1833 mit seiner „Beagle“ nach Argentinien kam, kommt vor, aber nicht gut weg: Er habe sich mit Brontosauriern besser als mit Menschen ausgekannt, denn ihm sei das blutrünstige Vorgehen der Weißen gegen die Indigenen nicht weiter aufgefallen. Im Gegensatz zu Benigar. Der verbrachte sein Leben fernab von Städten und kehrte nie mehr nach Europa zurück. Seine Schriften – fast alle auf Spanisch – wurden der Städtischen Bibliothek von Ljubljana übergeben.

Am Ende seines Lebens schrieb er einem Freund über die Gründe, warum er das, „was ihr Zivilisation nennt“ verlassen hatte: Aus „Überzeugung, dass es sich nicht um Zivilisation handelt.“

Cover

Claudio Magris:
„Kreuz des Südens“
Ü.: Anna Leube, Dietrich Leube. Hanser.
144 S. 24,50€

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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