„Die Affäre Rue de Lourcine“ in den Kammerspielen: Ein Lustspiel, in dem das Abgründige nur aufblitzt.
Unangenehm, wenn man mit einem Filmriss aufwacht. Lenglumé passiert das, er kann sich nicht mal mehr erinnern, dass er seine Hose angelassen hat, als er ins Bett gegangen ist. „Nanu, ich bin ja drin“, sagt er nach erfolgreicher Suche. Geschweige denn kann er sich erinnern, warum da ein fremder Mann in seinem Bett liegt.
Das ist die Ausgangslage in Eugène Labiches Komödie „Die Affäre Rue de Lourcine“, die am Samstag in einer Übersetzung von Elfriede Jelinek in den Wiener Kammerspielen Premiere hatte. Die Situation erschüttert Lenglumé erst mal nicht weiter, bis seine Frau beim Frühstück – gemeinsam mit dem Mann, mit dem er die Nacht so gedächtnisvernichtend durchgesoffen hat – aus der Zeitung vorliest. Eine Kohlenträgerin ist in der Nacht ermordet worden. Am Tatort zurückgeblieben sind ein grüner Regenschirm mit Affenkopf und ein Taschentuch mit Monogramm – just die Objekte, die Lenglumé und Trinkkumpan Mistingue vermissen. Und außerdem haben beide je ein Kohlestück in ihren weißen Hosentaschen.
Restalkohol
Nun setzt die Panik ein. Wie die Tat verheimlichen? Ganz einfach, alle, die etwas wissen oder ahnen, müssen aus dem Weg geräumt werden. Gar nicht so einfach, wenn man noch mit Restalkohol zu kämpfen hat. Da leidet das kriminelle Kalkül mitunter etwas. Aus diesen Verwicklungen speist sich der Humor des Stücks, das manche für ein seichtes Komödchen mit nur einer matten Pointe halten, andere wieder für einen Ansatz zum absurden Theater.
Achtung, Schiebetür
Regisseurin Alexandra Liedtke hat sich in den Kammerspielen für eine recht klassische Lustspielvariante entschieden. Die Bühne (Philip Rubner) ist eine Reduktion in Weiß und Salbei. Es gibt ein Klavier (das aber Veit-Jacob Walter aus dem Off spielt), einen Tisch mit Wein und Wasser. Und zwei Türen, denen in solchen Komödien immer eine wichtige Rolle zukommt. Dass sich eine davon unvermittelt als Schiebetür erweist, sorgt für eine der besten Pointen das Abends.
Michael Dangl spielt den Lenglumé mit großer Lust am Betrunkenenslapstick, Marcus Bluhm als sein Partner in Crime ist ein gewandtes Gegenüber. Melanie Hackl sorgt als Dienerin Justine für fast akrobatische Körperhumor-Momente durch besondere Biegsamkeit und hat das beste Kostüm (Su Bühler), sie sieht aus wie Cyndi Lauper auf der Latexfetischparty. Robert Joseph Bartl spielt Lenglumés Vetter Potard mit allerlei Anleihen aus Filmen, etwa „Austin Powers“. Die herausragendste Darstellung kommt von Kimberly Rydell als Lenglumés Frau, der Liedtkes Inszenierung eine größere Bedeutung zuschanzt. Wie sie ihren Gewaltwunsch gegen ihren Gatten mal mehr, mal weniger gut in sich hineinfrisst, ist wirklich unterhaltsam anzusehen.
Anspielungen auf Stummfilmhumor und Cartoons, groteskes Durcheinanderlaufen zu Musik im Theaternebel, all das ist nicht neu, mag aber immer noch sein Publikum finden. Was uns dieses Stück über unsere Gesellschaft heute sagen kann, wird – trotz Bedienens am üppigen Zitatenschatz der Chataffäre – aber nicht klar. Außer man nimmt sich den Satz zu Herzen: „Wir haben keine Erinnerung, vergiss das nicht!“
Source:: Kurier.at – Kultur