
„Mein Zeitplan ist verrückt! Aber ich bin wie eine Soldatin: Wenn ich regelmäßig schlafe und esse, kann ich mit allem umgehen.“
Erst diese Woche hatte Marina Abramović Zeit, ihre eigene Werkschau in der Albertina Modern in Wien zu sehen: Die Eröffnung im Oktober war mit der Premiere ihres jüngsten Großprojektes, dem vierstündigen, opernhaften Stück „Balkan Erotic Epic“ in Manchester, zusammengefallen. Und nun: Eröffnung einer Ausstellung in der Galerie von Ursula Krinzinger, ihrer Mitstreiterin seit Anfangstagen. Ein ausverkaufter Vortrag im Künstlerhaus-Kino. Ein Event mit Mäzenen. Und ein Gespräch mit einer kleinen Runde von Journalistinnen und Journalisten, darunter dem KURIER.
Lange Dauer
Die professionelle Organisation, die für ein solches Pensum nötig ist, scheint auf den ersten Blick mit Abramovićs künstlerischer Idee im Widerspruch zu stehen: Denn in deren Kern steht die Präsenz im Hier und Jetzt, und zwar über lange Zeit.
„Wenn du etwas sehr lange machst – drei Stunden, vier Stunden, Tage, Monate – wird die Performance selbst zum Leben“, sagt Abramović. „Man zeigt sein wahres Selbst, seine Erschöpfung, seine Verletzlichkeit. Und das schafft die Verbindung zum Publikum.“
Die Performance „The Artist Is Present“ im New Yorker MoMA (2010) schien der Gipfel dieser Entwicklung zu sein. Im ersten Saal der Albertina-Schau sind die Gesichter der Menschen, denen die Künstlerin während zweieinhalb Monaten täglich still gegenübersaß. Alle ließ Abramović dokumentieren, es gebe mehr als 700 Stunden Videomaterial, erzählt sie. Festgehalten ist auch jener Moment, an dem die Künstlerin selbst emotional wurde, als sich Ulay, ihr ehemaliger Partner, vor sie setzte.
Verschmelzung
Die intensive Beziehung zwischen dem als Frank Uwe Laysiepen geborenen Deutschen und der in Serbien geborenen Abramović führte zu einigen Hauptwerken der Performancekunst. Abseits davon blieb Ulay, der 2020 starb, verhältnismäßig unbekannt.
Bis 16. Dezember zeigt die Galerie Charim in der Dorotheergasse nun eine aufschlussreiche Ausstellung, die seinem Werk gewidmet ist: Zu sehen sind Selbstinszenierungen, in denen der gelernte Fotograf – teils mit seinem Freund Jürgen Klauke – seine Geschlechteridentität verwischte. Ausgestellt ist auch eine als Partezettel gestaltete Postkarte, mit der Ulay 1974 seinen „Abschied als einzige Person“ bekannt gab.
Ulay
Mit Abramović verschmolz der Künstler in der Folge zu einem Wesen: die „symbolische Entstehung eines Hermaphroditen“ sei das Ziel gewesen, erklärte er später.
Tatsächlich teilen Abramović und Ulay denselben Geburtstag: den 30. November. Exakt an diesem Tag wird die Künstlerin nun in Ljubljana eine Schau eröffnen, die die gemeinsame Arbeit von 1976 bis 1988 Revue passieren lässt.
„Liebe, Hass, Alles“
„Diese Beziehung hatte alles – Liebe, Hass, Verzeihung“, sagt Abramović im Gespräch. „Wir konnten diese Ausstellung aber erst jetzt, nach Ulays Tod, machen. Seine Witwe und ich haben eine gute Beziehung zueinander. Ansonsten hätten wir wohl bis aufs Blut gekämpft.“
Ulay und Abramović hatten 2015/’16 vor Gericht um die Rechte an gemeinsamen Arbeiten gestritten, am Ende galt die Künstlerin die Ansprüche ihres Expartners ab. Erst 2018 kam es im Rahmen eines Doku-Projekts zur Aussöhnung, erzählt Sydney Fishman, die die aktuelle Schau in der Galerie Krinzinger in Wien kuratierte. Auch in dieser geht es um das Nachleben eines intensiven Moments – der Performance „Thomas Lips“, die 1975 in Ursula Krinzingers damaliger Galerie in Innsbruck stattfand.
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Source:: Kurier.at – Kultur



