Zum siebenten Mal dirigiert Riccardo Muti den Event im Musikverein. Im Interview spricht er über Frauen in der Klassik, die Fehler der Politik und den Konzertboom in China.
„Wir brauchen viel mehr Musik! Wir brauchen Harmonie in dieser Welt!“ Das ruft Stardirigent Riccardo Muti bereits, bevor der Interviewer ihm die erste Frage gestellt hat.
Zum siebenten Mal dirigiert Muti am 1. Jänner 2025 den prominentesten Kulturevent der Welt, das Neujahrskonzert: Am Pult der Wiener Philharmoniker leitet der Italiener mit Strauss-Musik das Strauss-Jahr ein. Das ist das Ergebnis einer einzigartigen Beziehung: Seit 54 Jahren schon arbeitet der heute 83-Jährige mit dem Wiener Paradeorchester; die Klassik ist bekannt für derart lange Arbeitsbeziehungen, wie es sie in kaum einer anderen Branche gibt.
Das heurige Konzert steht nicht nur wegen des mit ihm anhebenden Jubiläumsjahres – der 200. Geburtstag von Johann Strauss wird in Wien ausgiebig gefeiert – unter einem besonderen Stern. Es birgt auch eine Premiere in einem Bereich, der den Philharmonikern immer wieder Kritik einbringt. Denn bisher war das Neujahrskonzert eine reine Männerangelegenheit – sowohl am Pult als auch in der Musik. Letzteres ändert sich nun: Erstmals erklingt bei einem Neujahrskonzert das Werk einer Frau, der „Ferdinandus-Walzer“ von Constanze Geiger.
Mit dem KURIER redet der Maestro nun über Frauen in der Musik, gefährliche Zeiten für die Kultur und den wirklichen Grund, warum er dagegen ist, problematische Stellen in den Werken der Vergangenheit an heutige Sensibilitäten anzupassen.
KURIER: Ihr bisher letztes Neujahrskonzert war vor einem leeren Musikvereinssaal, 2021 während der Pandemie. Hat sich die Musik, die Kultur von all dem wieder erholt?
Riccardo Muti: Sie wissen, ich war sehr, sehr kritisch dem Fehlen von Kultur während dieser Zeit gegenüber. Die ganze Welt war ein Jahr lang ohne Kultur, während wir alles taten, um zu überleben. Aber die Musik überbringt Botschaften von Liebe und Freundschaft und Hoffnung! Ich bin sehr stolz auf die Wiener Philharmoniker, denen ich schon seit 54 Jahren verbunden sein darf, dass sie die Kraft und das Mitgefühl hatten, dieses Konzert zu veranstalten. Sie waren die Einzigen, die den Mut dazu hatten.
Es muss trotzdem ein eigenartiges Gefühl gewesen sein.
Es war eine einzigartige Erfahrung. Diese Walzer-Finali voll Freude und Feuer – und dann Stille. Das war nur möglich, weil die Musiker und ich nicht nur seit Jahrzehnten zusammenarbeiten, sondern auch Freunde sind. Zusammen haben wir uns gemeinsam vorgestellt, dass der Saal voll ist. Das hat uns geholfen. Und das Bewusstsein, dass Millionen Menschen in der ganzen Welt uns zugehört haben, unserer Botschaft an die Welt, dass die Musik, das Leben, die Schönheit weitergehen müssen. Es war eigenartig und ist schwer zu erklären, aber wir haben nicht für uns gespielt, sondern für die Welt.
Eine Erfahrung, die man nicht wiederholen möchte.
Wissen Sie, es hatte sogar auch etwas Lustiges. Beim „Radetzkymarsch“ gibt es ja diese Tradition …
Die Menschen klatschen mit, wenn man sie lässt.
Ja, aber manche haben kein Gefühl für Rhythmus. Da muss man sich sehr konzentrieren: Man dirigiert und hört zugleich die Menschen einen anderen Rhythmus klatschen.
Sie hatten also einen leichteren Job ohne Publikum!
Für dieses eine Mal, ja! (lacht)
Es …read more
Source:: Kurier.at – Kultur