
In Moskau herrscht Chaos. Chowanski, der Anführer der Palastgarde, will seine Position festigen. Seine Gegner sind u. a. ein westlich orientierter Fürst namens Golizyn und religiöse Fanatiker unter der Führung von Dosifej. Menschenleben haben für sie keinen Wert. So lässt sich der Inhalt von Modest Mussorgskis Oper „Chowanschtschina“ grob umreißen. Den Hintergrund liefert der Aufstand der Strelitzen 1682. Ihm falle heute keine Oper ein, die dem, was man heute in der Zeitung liest, so nahe kommt, sagt der Dirigent Esa-Pekka Salonen im KURIER-Gespräch. Man müsse nur ein paar Namen austauschen.
Ist die Oper eine rein russische Angelegenheit? „Russland steht in gewisser Weise im Zentrum des globalen politischen Diskurses, mehr als je zuvor. Was in Europa im Moment passiert, ist eine Reaktion auf die Außenpolitik Russlands. Denken Sie an Deutschland, das für dieses massive Schuldenpaket stimmte. Dann gibt es noch diesen Kleriker Dosifej, der die Religion gewissermaßen als Waffe für seine politischen Ziele einsetzt. Das passiert in Russland ständig, aber auch in den USA. Die religiöse Rechte hat mehr Macht als je zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Der Fürst Golizyn steht für Europa. Er will Russland modernisieren, verwestlichen und zu einem Teil der europäischen Familie machen. Auch er scheitert.“ So vergleicht Salonen die Oper mit der aktuellen Lage.
Unsterbliche Melodien
Was aber empfindet er als Finne, dessen Land an das gegen die Ukraine kriegführende Russland grenzt? Er habe Mussorgskis Musik immer geliebt, sagt er und schwärmt von der Musik: „Die ist unglaublich stark, sehr kraftvoll. Einige der Melodien sind unsterblich, wie die besten von ABBA oder von Mozart oder Puccini.“ Konzertant hatte er diese Oper bereits öfter aufgeführt, aber nie szenisch.
„Ursprünglich sollte diese Produktion in Kooperation mit dem Bolschoi herauskommen. Aber der Krieg änderte alles. Einige Sänger standen Putin so nahe, dass wir sie nicht einsetzen konnten. Das hat aber nichts mit einem Boykott russischer Meisterwerke zu tun“, betont er – und setzt mit einem Exkurs über Mussorgski fort.
„Der war wie viele Künstler an seine Zeit gebunden. Da waren zwei gegensätzliche Trends im Gange, die Verwestlichung und die Russifizierung der russischen Kultur, also zwei verschiedene Trends, die gleichzeitig im Gange waren. Danach gab es eine Gegenreaktion. Mussorgski und viele seiner Kollegen waren der Meinung, dass es eine russische Kunstmusik geben müsse, die sich von den westlichen Trends unterscheidet. Interessanterweise aber hörte Mussorgski als Bub Wagner, denn der wurde in St. Petersburg und in Moskau häufig aufgeführt. In ,Chowanschtschina‘ gibt es Passagen, die an ,Lohengrin‘ und ,Tannhäuser‘ erinnern“, erklärt der Dirigent.
via REUTERS/Jessica Gow/TT
Esa-Pekka Salonen (r.) mit US-Musiker Nile Rodgers (l.) bei der Verleihung des Polar Music Prize 2024
Dem Alkohol erlegen
Da Mussorgski aber seinem Hang zum Alkohol erlegen ist, bevor er die Orchestrierung vornehmen konnte, übernahm diese zunächst Rimsky-Korsakow und dann Schostakowitsch, Strawinsky komponierte das Finale.
Für die Salzburger Aufführung fertigte der Komponist Gerard McBurney – der Bruder des Regisseurs Simon McBurney – eine Art Brücke zwischen Schostakowitsch und Strawinsky. Für Puristen, die dadurch eine Verfremdung befürchten, wartet Salonen mit einem Beispiel auf. Als er mit Regisseur Patrice Chéreau „Elektra“ produzierte, wollte jener zwei …read more
Source:: Kurier.at – Kultur