Film „Die Ermittlung“: Reden wir über Auschwitz

Kultur

Kann man über Auschwitz ein Theaterstück schreiben? „Die Ermittlung“ von Peter Weiss zeigte: Ja, kann man. Jetzt kommt eine Verfilmung des Dokumentartheaterklassikers ins Kino und ins Fernsehen

Die Erschießungen wurden üblicherweise im Hof von Block elf durchgeführt, vor der „Schwarzen Wand“. Zwei Jahrzehnte später bezeugen Mithäftlinge vor Gericht, was sie dort gesehen haben. Die Angeklagten aber blocken ab. Der Erste hat „keinen Schuss abgegeben“. Der Zweite hatte „solche Aufgaben nie durchzuführen“. Der Dritte war „dazu nicht befugt“. Und der Vierte „kam überhaupt nie in den Block elf“.

So geht das in dem Prozess-Stück „Die Ermittlung“ (1965) von Peter Weiss die ganze Zeit: Die Männer und Frauen im Zeugenstand schildern bis in schmerzhafteste Details die Grausamkeiten, die sie in Auschwitz gesehen oder durchlebt haben. Die Herren auf der Anklagebank aber können sich an nichts erinnern, streiten alles ab, haben im Zweifelsfall nur ihre Pflicht erfüllt. „Wo ich hingestellt werde / mache ich eben meinen Dienst“.

Leonine Studios

Karl Markovics ist einer von 60 Schauspielerinnen und Schauspielern, die in der „Ermittlung“ mitspielen

Vier Stunden Text

Anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung des KZ Auschwitz, der am 27. Jänner weltweit begangen wird, präsentiert die Viennale am Donnerstag dieser Woche im Stadtkino einen Film, der sich des Themas auf denkbar radikale Weise annimmt. „Die Ermittlung“ dauert vier Stunden und besteht fast ausschließlich aus gesprochenem Text.

Regisseur RP Kahl verleugnet nicht, dass sein Film auf einem Theaterstück basiert, er betont das eher noch. Statt die 60 Jahre alte Vorlage in einen möglichst realistischen Justizfilm mit Sixties-Flair zu verwandeln, spielt sein Film in einem künstlichen Studio-Setting und offensichtlich in der Gegenwart. Das Lager kommt erst ganz zum Schluss ins Bild, und zwar in seinem heutigen Zustand; anstelle von SS-Leuten und KZ-Häftlingen sind Besucher zu sehen, die über die Gedenkstätte flanieren.

  Betörender Schmerz und sinnlicher Aufbruch

Der Text wird originalgetreu und nahezu ungekürzt (daher die Überlänge) gesprochen. 60 Schauspielerinnen und Schauspieler – darunter Clemens Schick als Ankläger, Bernhard Schütz als Verteidiger, Christiane Paul und Karl Markovics als Zeugen – sind im Einsatz; manche Darsteller sprechen mit deutlichem Akzent – ein Hinweis darauf, dass im KZ nicht nur Deutsch gesprochen wurde.

Leonine Studios

Die Angeklagten (im Bild: Ronald Kukulies als SS-Sanitäter Josef Klehr) leugneten alles 

Ein Oratorium

Der ganze Film wurde, nach ein paar Wochen Vorbereitungszeit, in nur fünf Tagen abgedreht. „Regie zu führen, bestand hier manchmal einfach nur darin, ein langes Gespräch mit einem Schauspieler außerhalb des Studios zu führen, draußen in der Sonne“, sagt der Regisseur über die ungewöhnlichen Dreharbeiten.

Grundlage der „Ermittlung“ war der erste große Auschwitz-Prozess (1963 bis 1965) in Frankfurt am Main. Weiss saß hin und wieder selbst im Gerichtssaal, stützte sich beim Schreiben aber vor allem auf die Prozessberichte des FAZ-Journalisten Bernd Naumann. Das Gerichtspersonal reduzierte Weiss auf drei Personen – Richter, Ankläger, Verteidiger –, aus 22 Angeklagten werden 18. Im Unterschied zu den Tätern bleiben die ehemaligen Häftlinge namenlos, wie damals im Lager.

Das „Oratorium“, so die Gattungsbezeichnung, umkreist den Komplex Auschwitz in elf „Gesängen“, von der Ankunft an der Rampe bis zu den Krematorien. Die Sprache ist schmerzhaft genau und immer wieder von …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

(Visited 1 times, 1 visits today)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.