Intensives Kammerspiel über ein Familienfest, das aufgrund familiärer Traumate implodiert – von Ramon Zürcher
Zwei Brüder, drei Filme. Seit ihrem Debütfilm „Das merkwürdige Kätzchen“ (2013) ist das Schweizer Zwillingspaar Ramon und Silvan Zürcher nicht mehr von der cinephilen Landkarte wegzudenken. Mit ihrem zweiten Film „Das Mädchen und die Spinne“ (2021) schrieben sie ihre sogenannte „Tier-Trilogie“ weiter, die nun mit „Der Spatz im Kamin“ ihr vortreffliches Finale findet. Drehbuch und Regie stammen wieder von Ramon Zürcher, die Produktion – aufwendiger als bisher – übernahm Silvan.
Familienporträts und Beziehungsgeflechte bilden das Kerngeschäft der Zürcher-Brüder, deren affektgeladene Erzählweise eine ganz eigenwillige Welt erschafft. Wenn man „Der Spatz im Kamin“ inhaltlich zusammenfasst, unterscheidet er sich kaum vom gewohnten Genre des Familiendramas und seinen bekannten Gesetzmäßigkeiten: Eine Familie plant ein großes Fest, an dem der Geburtstag des Vaters gefeiert werden soll. Schon am Vorabend treffen die Schwester der Frau mit Mann und Kindern ein. Es kommt zu Reibereien, Familiengeheimnisse brechen auf, Affären werden entdeckt – und die Party eskaliert.
Zürcher verzichtet aber darauf, einen herkömmlichen, kausalen Handlungsverlauf zu konstruieren, sondern begnügt sich mit hingetupften Andeutungen. Die Lücken im Geschehen füllt er mit unterschwelligen Spannungen zwischen den Familienmitgliedern und den daraus entstehenden Stimmungsbildern auf. Großaufnahmen von einem zerbrochenen Teller, Familienfotos oder Besen und Schaufel werden zu Zeugen von (emotionalen) Grausamkeiten und ergeben ein Stillleben häuslicher Zerrüttung.
Perfid und depressiv
Im Zentrum des Ensembles steht Karen, Mutter von einem Buben und zwei Teenager-Mädchen, und Ehefrau des Geburtstagskindes Markus. Maren Eggert („Ich bin dein Mensch“) spielt Karen mit sensibler Feinfühligkeit als verletzliche Frau zwischen Perfidie und Depression. Ihrer aufmüpfigen Tochter schlägt sie kühl so gemeine Sätze wie „Mit dem Oberteil sahst du aus wie ein Flittchen“ ins Gesicht, muss sich dafür aber Antworten wie „Ich wünschte, du wärst tot“ gefallen lassen. Auch ihrem kleinen, von älteren Buben gemobbten Sohn kann sie kaum Empathie entgegenbringen. Wenn Karen ein Messer in die Hand nimmt, weiß man nicht: Will sie sich selbst verletzten oder jemanden umbringen?
Stadtkino Filmverleih
Geheime Affäre: Adreas Döhler und Luise Heyer in „Der Spatz im Kamin“
Der Besuch ihrer Schwester Jule bringt Bewegung in ihre Gefühlsstarre. Die heitere Jule kann nicht fassen, dass Karen nach dem Tod der Mutter mit ihrer Familie in das verhasste Haus, in dem sie gemeinsam aufwuchsen, zurückgekehrt ist. Und tatsächlich bekommt die alte Villa – herrlich gelegen in Seenähe – Qualitäten eines Geisterhauses, vollgefüllt mit traumatischen Erinnerungen.
Obwohl hinter den Fenstern weite Wiesen liegen, bleibt der Bildausschnitt immer schmal. Die Kamera blickt unbeweglich auf beengende Räume, in denen sich die darin befindlichen Personen immer (zu) nahe kommen. Aus dem Off erklingen die Geräusche von sprechenden Menschen, Popmusik, Klaviergeklimper oder bellenden Hunden, deren Lärmpegel die inneren Spannungszustände bis hin zum Psychothriller in die Höhe treiben. Auch das erotische Begehren zirkuliert. Die mysteriöse Babysitterin von nebenan – eine verurteilte Brandstifterin – ist die heimliche Geliebte ihres Mannes, wird aber von Karen auch als Komplizin wahrgenommen. Apropos Brandstifterin: Ob es wirklich zu einem großen Feuer kommt oder doch nur in der Wunschfantasie von Karen brennt, ist schwer zu sagen. Nicht umsonst ist der doppelbödige …read more
Source:: Kurier.at – Kultur