Gefangen im Strom der Zeit und der Gedanken

Kultur

Schauspielhaus Wien: Umjubelte Uraufführung des dramatischen Gedichts „Am Fluss“.

Wenn draußen der Dezember seinen großen Auftritt hat und es dunkel, nass und kalt ist, kann man ins Theater gehen, um sich zu erwärmen. Wer sieht im Winter nicht gerne gut beheizte Komödien, die einen das Wetter vergessen lassen?
Oder man geht ins Theater, um der Dunkelheit zu begegnen. Natürlich: Das muss man aushalten.

Im Schauspielhaus Wien bei der Uraufführung von „Am Fluss“ ist es mindestens so düster wie draußen. Die Bühne (Charlotte Pistorius) ist kahl und dunkel und wird von einem Lattenzaun dominiert. Immer wieder werden die Zuschauer von tragbaren Scheinwerfern geblendet.

Worum es in dem Stück des türkischen Autors Mazlum Nergiz geht, ist gar nicht so leicht zu erklären. Auch nach der Premiere sind die Rätsel nicht kleiner.

Kompliziert

Genau genommen ist es gar kein Stück, sondern eher ein langes, großes Gedicht, das von einem hervorragenden Schauspielerensemble vorgetragen wird. Übrigens, damit es noch ein wenig komplizierter wird, auf Deutsch, Slowakisch, Englisch und Spanisch – der Blick wandert ständig von der Bühne zu den Übertiteln und wieder zurück.

Die Handlung – besser: die Handlungen – spielen am Ufer des Hudson River in New York. Hier, in den Ruinen ehemaliger Anlegestellen, treffen sich in den Siebzigerjahren Männer zum schnellen, anonymen Sex.

Im Mittelpunkt steht aber der Psychoanalytiker Wilhelm Reich, dessen Bücher hier in den Fünfzigerjahren verbrannt wurden. Reich glaubte daran, dass eine allgemeine Lebensenergie existiert, Orgon genannt, deren Blockierung Krankheiten auslöst. Und er erfand den Orgonakkumulator, einen Kasten aus Holz, der Menschen heilen sollte.

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Und dann ist noch die Rede von der Künstlerin Ana Mendieta, die 34 Stockwerke aus ihrer Wohnung fällt. Und von dem Künstler Gordon Matta-Clark, der Formen in die Wände  schneidet. Und wir sehen einen Mann, der sich um seinen AIDS-kranken Freund kümmert.

Vor allem aber ist dieser Text ein Nachsinnen über den Fluss, in dem alles gleichzeitig vorhanden ist, auch die Zeit.
Die Starregisseurin Christiane Pohle hat in der Koproduktion mit dem Slovenské národné divadlo in Bratislava gar nicht erst versucht, ein Stück zu inszenieren. Sie bietet einen Strom der Gedanken und Bilder, auf den man sich einlassen muss. Leider ist der Text nicht ganz so gut, wie er gerne wäre.

Jubel

Die Schauspieler dagegen sind hervorragend. Etwa Iris Becher – die als verletzt angesagt wurde – als Wilhelm Reich. Ebenso gut ist Sofia Diaz  Ferrer als Ana Mendieta. In weiteren Rollen: Kaspar Locher, Jakub Rybárik, Richard Stabje und Maximilan Thienen.

Nach knapp zwei Stunden gibt es großen Jubel für einen schwierigen, spannenden Theaterabend.
 

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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