Horváth als Anti-Operette: Puppentragödie im Ringelspiel

Kultur

Rieke Süßkow hat Ödön von Horváths „Gebrauchsanweisung“ ganz genau gelesen: „Selbstverständlich müssen die Stücke stilisiert gespielt werden“, steht darin. Es gibt jedoch Ausnahmen, also Sätze, die realistisch oder naturalistisch gebracht werden sollen. Das hat die Hausregisseurin des Volkstheaters nicht so sehr beherzigt: Was sie mit ihrem kongenialen Team – Sabrina Bosshard (Kostüme), Mirjam Stängl (Bühne) und Philipp C. Mayer (Musik) – am Freitagabend mit „Geschichten aus dem Wiener Wald“ abgeliefert hat, ist eine Setzung, die bis zum Ende durchgehalten wird.

Leicht macht sie es dem Publikum aber nicht. Denn das „Volksstück“ geht in dieser hoch artifiziellen, perfekt komponierten Inszenierung unter: Als wäre Bert Brechts Verfremdungseffekt-Dogma („Glotzt nicht so romantisch!“) Süßkows Maß.

Es gibt also keine „stille Straße im achten Bezirk“ , in der nebeneinander der „Zauberkönig“, ein lüsterner Witwer, mit seiner Tochter Marianne, die Trafikantin Valerie und der Fleischer Oskar ihre Läden haben. Es gibt keinen Steffl, keine Burgruine in der Wachau und keinen Wiener Wald. Auf der Drehbühne gibt es bloß ein stilisiertes, wie von den Lamellen einer Blende eingefasstes Karussell in Eibischteigfarben. Und darauf acht unterschiedlich hohe „Drehtüren“: Über sie platzt immer immer wieder eine der Figuren in die Szene. Das ist durchaus reizvoll, nutzt sich aber, wie das Konzept generell, irgendwann ab.

Zumal auch keine Menschen auf der Bühne agieren, sondern Puppen. Die Unterkörper sind alle gleich: graue Strumpf-Beinchen in grauen Schuhen, darüber fleischfarbene, ausgestellte Röcke mit – cooler Effekt – verruchtem Unterfutter. Ob der markant geschminkten Puppenköpfe (mit Perücken, aufgeklebten Nasen und Backenknochen) ist es auch ziemlich egal, wer bei dieser tragischen Familienaufstellung wen spielt. Mit psychologischem Spiel kann niemand Meter machen: Man sitzt eben in Puppenmanier herum (z. B. mit gespreizten Beinen) – und schaut irgendwohin. Einzig Nick Romeo Reimann vermag herauszustechen: Der Lackel verkörpert die giftsprühende Großmutter am Stock – und die einzige nicht cross-gender besetzte Hauptrolle, den widerlichen Proto-Nazi Erich. Echt Mann halt.

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Extreme Strichfassung

Gegen Ende hin ruft er Valerie ein „Altes fünfzigjähriges Stück Scheiße“ nach. Steht tatsächlich so bei Horváth. In der extremen Strichfassung von Süßkow und Dramaturgin Katharina Gerschler kommt nicht nur dieser Satz mit ungeheurer Wucht über die Rampe – und die Wirkung wird durch das Puppenspiel noch verstärkt.

Mitunter hat man den Eindruck, einen nachträglich vertonten Stummfilm zu sehen: Das Ringelspiel knarrt bedrohlich – und wenn Oskar seine Marianne brutal auf den Rücken legt, krachen die Knochen. Noch verstörender ist das Tick-Tack der Wanduhr in der Wachau.

Die meiste Zeit aber erklingen von einem Septett im Orchestergraben Walzermelodien: Süßkow hat eine Art Operette gewagt, die sich zur Techno-Party im Dreivierteltakt steigert. Die „Puppen“ reden daher nicht normal miteinander, sondern im Rhythmus zur Musik, sie fallen in einen Sprechgesang, sie singen auch. Und sie drehen sich viel im Kreis. Hundert Minuten reichen.

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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