Im Volkstheater will man „lieber verrecken als Yoga machen“

Kultur

„Liebes Arschloch“: Die Uraufführung von Virginie Despentes Briefroman über Feminismus und Männerschmerzen

Man wird im Programm vorgewarnt und tatsächlich geht’s in diesen zwei Stunden vierzig derb zu. Wie auch nicht, bei „Liebes Arschloch“ handelt es sich um eine Uraufführung von Virginie Despentes, Urheberin wütender Filme wie „Baise-moi“ und der wenig minder wütenden „Vernon-Subutex“-Dystopie.

In „Liebes Arschloch“, ihrem Briefroman über Feminismus und Männerschmerzen, geht’s um #MeToo, Hass im Netz, Patriarchat, Drogenmissbrauch und überhaupt alles, was Gott verboten hat. Inklusive Corona, Krieg, verdrängte Homosexualität. In Summe dann ein bisserl viel und auch in der Inszenierung von Stephan Kimming, trotz Einsatz von Stroboskop-Effekten (Lichtdesign: Voxi Bärenklau) doch ermüdend.

Ziemlich oft wälzt sich Hauptdarsteller Oscar (Paul Grill), ein Autor, der eine Agentin bedrängt hat und von ihr öffentlich bloßgestellt wurde, umher und schreit mit rot unterlaufenen Augen wehleidige Lebensbeichten in die Kamera, die die Darbietung dann gleich an die Wand eines Wohncontainers projiziert (Bühne: Katja Haß). Als Erstes und in weiterer Folge ständig ist das F-Wort zu hören.

Trotzdem gibt’s hier auch versöhnliche Töne. Tenor: Männer sind dumm und hässlich, aber irgendwie auch liebenswerte arme Teufel. Und Feminismus kann ganz schön nerven. Beispiel ist die Bloggerin Zoé Katana (Irem Gökçen), vormals Agentin des versoffenen Oscar. Sie informiert die Öffentlichkeit über ihn und das Problem Patriarchat im Allgemeinen, gewinnt eine große Zuhörerinnenschaft, letztlich aber überwiegen im Biest Internet die Anfeindungen und sie schnappt über. Haupterzählstrang ist jedoch die seltsame Brieffreundschaft zwischen Waschlappen Oscar und der berühmten Schauspielerin Rebecca Latté. Ihr schreibt er, als hätte er von den Zores mit seiner Agentin nicht genug, einen beleidigenden öffentlichen Kommentar. Und sie schlägt zurück. Daraus entwickelt sich interessanterweise so etwas wie Zuneigung. Er spielt lange Zeit verfolgte Unschuld, schwört dann dem Drogen- und Alkoholkonsum ab, gewinnt so etwas wie Einsicht.

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Stephan Kimmings Inszenierung überzeugt nicht restlos, hat aber einiges für sich. Dass hier hauptsächlich mit von der Kamera an die Wand geworfenen Bildern gearbeitet wird, ist nicht nur zeitgenössischer Schnickschnack, sondern hat auch damit zu tun, dass dies eben ein Briefroman ist. Die Protagonisten treffen einander nicht, zumal Corona gerade ausgebrochen ist. Vermutlich als Ausgleich hat sich Kimming Tanzeinlagen (Choreographie: Michèle Seydoux) ausgedacht. Trotzdem vermisst man den direkten Austausch und ertappt sich, ähnlich, wie man sich bei unsinniger Handy-Starrerei ertappt, dabei, dass man öfter auf die Bilder an der Wand als auf die echten Schauspieler, die ja auch noch da sind, schaut. Dabei ist Birgit Unterweger in der Rolle der Schauspielerin äußerst sehenswert. Berührend, komisch, intensiv spielt diese Rebecca mit ihren Ausbrüchen und ihrer berückenden Mischung aus Sarkasmus und Mütterlichkeit. Sie beklagt, dass sie mit fünfzig zu alt und fett für die Filmbranche ist und Heroin nicht mehr verträgt, hat aber keine Lust auf einen anderen Lebenswandel. Ihr Motto: „Lieber verrecken als Yoga machen.“

KURIER-Wertung: 3 1/2 von 5 Sternen

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Source:: Kurier.at – Kultur

      

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