Mit Ivy Compton-Burnett wird eine britische Schriftstellerin der Vergessenheit entrissen, die Meisterin der beiläufigen Zumutung war.
Virginia Woolf hat über sie geschrieben: „Meine Texte sind weit weniger gut als die bittere Wahrheit und die intensive Originalität einer Miss Compton Burnett“. In den Vierziger Jahren wurden die Bücher von Ivy Compton Burnett in hoher Zahl verkauft, 1967 wurde sie von der Queen als Dame geadelt. Aber heute sind ihre Bücher weitgehend vergriffen. 20 Romane hat Ivy Compton-Burnett in ihrem Leben (1884–1969) geschrieben, und doch ist sie selbst Kennern der angelsächsischen Literatur nicht sehr geläufig. Das soll sich nun wieder ändern. Denn wer ihre Bücher kennt, hält sie für eine der Modernsten ihrer Zeit.
„Nur“ Töchter
Mit „Ein Haus und seine Hüter“ (Die Andere Bibliothek) kann man sich davon ein Bild machen. Der Roman beginnt wie ein Thomas-Bernhard-Stück mit einem langen, scheinbaren Nonsens-Dialog über die Anwesenheit der Kinder am Weihnachtstisch. Ein paar Seiten weiter ist die Mutter der Familie auch schon tot. Ihre Krankheit wollte der Vater erst nicht akzeptieren, man kann sich ja auch ein bisschen zusammenreißen. Ziemlich rasch heiratet er dann wieder, die neue Frau ist fast 40 Jahre jünger. Sie findet mehr Gefallen an dem Neffen, der – vom Hausherrn herzlich ungeliebt – als Ersatz-Stammhalter geduldet wird. Denn die Familie besteht sonst „nur“ aus Töchtern. Die neue Gattin macht sich bald aus dem Staub – man kann es ihr aber auch kaum verübeln. Vorher gebiert sie allerdings einen neuen Stammhalter, was die Erbfolge ein wenig verkompliziert. Aber nicht lange, denn dieser Bub kommt eh um. Darüber wird aber nicht geredet. Also schon sehr viel. Aber ohne etwas sagen zu wollen. Was wiederum viel preisgibt.
Tatsächlich besteht der ganze Roman fast nur aus Dialog – in britisch-vornehmem Tonfall, der einen so einlullt, dass man die ausgetauschten Fiesheiten nicht auf Anhieb mitbekommt. Das ist Compton-Burnetts vorrangiges Stilmittel – und es ist ratsam, sich konzentriert darauf einzulassen, sonst verliert man den Überblick, da es an handelndem Personal auch nicht mangelt. Ein zeitgenössischer Kritiker hat einmal empfohlen, sich Kärtchen mit den Namen zu schreiben. Vor allem die Frauen durchschauen ihre gesellschaftliche Stellung hin diesen spätviktorianischen Familiensittenbildern mit beiläufigem Sarkasmus, das ist es wohl auch, was Virginia Woolf gemeint hat.
Beziehungen mit Frauen
Ivy Compton-Burnett sprach von ihrem Leben als einem „besonders ereignislosen“, was schon in ihrer Jugend nicht stimmte. Ein Bruder starb an Lungenentzündung, einer im Ersten Weltkrieg und danach vereinbarten sich zwei ihrer Schwestern zum Doppelsuizid. Sie selbst starb fast an der Spanischen Grippe. Damals kümmerte sich Margaret Jourdain um sie, mit der sie bis zu deren Tod zusammenlebte. Danach hatte sie eine lange Beziehung mit Madge Garland, der Gründerin der School of Fashion at the Royal College of Art und Chefredakteurin der britischen Vogue.
„Die vergnüglichste Geschichte über menschliche Niedertracht, die Sie jemals gelesen haben“, schreibt Hilary Mantel in ihrem Vorwort zu „Ein Haus und seine Hüter“. Es ist jedenfalls ein sonderbar-wunderbares Buch für Freunde gepflegter Gemeinheiten.
Source:: Kurier.at – Kultur