Kritik zum Neujahrskonzert 2025: Riccardo Muti und die süße Pein des Seins

Kultur

Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker machten das prominenteste Kulturevent zu einem musikalischen Fest mit spürbar melancholischen Nuancen.

Die vielleicht größte Errungenschaft des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker im Goldenen Saal des Musikvereins ist, dass sich mit diesem Soundtrack auch der Rest der per TV zugeschalteten Welt dem Neuen Jahr auf die Wiener Art nähert: nicht auf gerader Linie nämlich, sondern möglichst kunstvoll von der Seite hereintorkelnd, ein bisserl verschleppt und im richtigen Moment zögerlich, man weiß ja nie, was passiert.

Heuer war dieser Weg ins Neue Jahr noch dazu auf interessante Weise schattiger eingefärbt als gewöhnt: Riccardo Muti richtete bei seinem siebenten Neujahrskonzert den Scheinwerfer auf die vielerlei melancholischen Silhouetten hinter der Strauss’schen Hochkulturfolklorenfassade, auf die süße Pein des Seins, die bei den Walzerhits der Strauss-Dynastie ja immer mitgemeint ist, aber nicht selten unterhaltungseifrig mit guter Laune übermalt wird.

Klar, Muti muss bezüglich der Unterhaltungsfähigkeit natürlich nichts mehr beweisen: Die Komplexität der Strauss’schen Tanzmusik ist bei ihm in so herausragende wie verlässliche Eleganz gekleidet. Noch dazu: Er und sein „Lebensorchester“, dem er seit über einem halben Jahrhundert verbunden ist, verstehen einander blind in erfreulich mitanzusehender Freundschaft. Allein seine fröhliche Aufmunterungsmimik reicht dem Dirigenten über viele Passagen, um die Philharmoniker durch die prominentesten Klassikmittagsstunden des Jahres zu begleiten.

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Hier ist man dann auch im Kern dieses Konzertes, bei dem, was es über Katerberieselung und Gute-alte-Zeit-Verklärung hinaus zum aktuellen Ereignis macht: Allein, dass vor einem Millionenpublikum für zweieinhalb Stunden die sonst aus dem öffentlichen Diskurs herausgestrichenen Lebensdinge Schönheit, Freundschaft und Verbundenheit so ungeschützt gefeiert werden, ist ein Wert, der angesichts der Weltlage immer wichtiger wird. Es ist pure Freude, durchdrungen von der Übereinkunft, jetzt mal vieles gerade sein zu lassen, das sich sonst dem Miteinander entgegenstellt, insgesamt ein teures Gut.

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Abrissmelancholie

Im Auslauf des Guten Rutsches also gleitet man ins Neue Jahr mit Wohlklang, Wehmut und freundlicher Abrissmelancholie: Nach der „Demolirer-Polka“ ist man kurze Zeit selbst mit dem Wiener U-Bahn-Ausbau versöhnt, das mit dem Bauchaos war nämlich, so hört man, im 19. Jahrhundert auch schon nicht anders. Die Schönheit des halb Verfallenen führt der „Lagunen-Walzer“ glückhaft vor Augen. Auch beim „Transactionen“-Walzer von Josef Strauss, mit dem die Philharmoniker an das 30-Jahr-Jubiläum des EU-Beitritts Österreichs erinnern, schwingt manches musikalische Fragezeichen mit, das man, wenn man sich vom Feiern erholt hat, politisch durchdenken darf.

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Davor hatte es schon eine auf ihre Art bemerkenswerte Erstaufführung gegeben: Mit Constanze Geigers „Ferdinandus-Walzer“ war erstmals das Werk einer Komponistin beim Neujahrskonzert. Eine schöne Gelegenheit, Selbstverständliches auszusprechen: Natürlich hat sich das Werk perfekt und nahtlos ins Programm eingefügt, es ist, wie Muti vorab im KURIER-Interview zu Recht betont hatte, schließlich keine „Kuriosität“, nur weil es von einer Frau stammt, sondern schlicht hochwertige Musik der damaligen Zeit. Aber ja, die Programmierung macht eine offene Flanke ein bisschen kleiner, die das Traditionskonzert in Richtung Gegenwart hat.

Musikalisches Fest

Außermusikalische Spaßetteln – dem Neujahrskonzert zuweilen nicht fremd – sparte sich Muti, außer dem vielfältigen Vogelblaswerk bei Josef Strauss’ „Dorfschwalben aus Österreich“ stand die Musik für sich. Natürlich dürfen auch zu Beginn des Strauss-Jahres über die Nachdenkmomente hinaus die Strauss-Hits …read more

Source:: Kurier.at – Kultur

      

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